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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber
Autoren: Petra Hammesfahr
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kleiner Rest Verstand unter der Asche, nicht viel größer als der von Ben. Dieser kleine Rest war ein Motor. Er trieb sie vorwärts. Sie konnte doch ihren Sohn nicht ins offene Messer laufen lassen, solange sie noch einen Finger rühren und einen Fuß für ihn heben konnte.
    Sie quälte sich in die Scheune, stieg, mühsam nach Luft ringend und das Brennen in der Brust ignorierend, in den alten Mercedes. Seit ewigen Zeiten hatte sie nicht mehr am Steuer gesessen wegen ihrer Herzprobleme. Aber jetzt ging es nicht anders, mit dem Rad hätte sie es nicht mehr geschafft, das Allerschlimmste zu verhindern, Ben zu holen und mit ihm wegzugehen – weit weg – in die Scheune, wo es viele Balken gab.
    Die Augen fast blind von dem grauen Schleier, innerlich halb verbrannt, die linke Hand ohne jede Kraft im Schoß, fuhr sie auf die Abzweigung zu, bog in den breiten Weg ein, fuhr bis zur nächsten Abzweigung. Dort ging es nicht weiter. Die gesamte Kreuzung war blockiert von drei Rettungswagen, zwei Streifenwagen und dem Notarztwagen.
    Heinz Lukkas Haustür stand weit offen. Trude stieg aus. Es war ein Gefühl, als ginge sie über Watteberge auf den offenen Schlund zur Hölle zu. Der Kommandeur und sein Henker, einen anderen Gedanken gab es in ihrem Hirn nicht mehr.
    Sie kam noch bis zu der Tür, die in den Wohnraum führte. Auch die stand weit offen. In dem großen Raum herrschte ein unübersichtliches Gewimmel. So viele Leute, die am Boden hockten, bei der Terrassentür standen, auf Bahren lagen. Es dauerte noch zwei oder drei Sekunden, eine endlos lange Zeit, in der Trude versuchte, das Feuer im Innern zu ignorieren, alles in sich aufzunehmen und zu begreifen, was geschehen war.
    Da lag der zierliche Körper ihrer jüngsten Tochter, um den sie zu dritt knieten, mit Verbandmull, gefüllten Beuteln und anderen Dingen hantierten. Vor dem Kamin lag einer, den sie bereits zugedeckt hatten. Und daneben noch einer, von dem Trude nicht viel sah, weil auch um ihn zwei Sanitäter und der Notarzt beschäftigt waren, aber ihn hätte sie noch erkannt, wenn er in absoluter Finsternis unter einem Haufen alter Knochen gelegen hätte.
    Das Feuer in ihrer Brust schnitt ihr endgültig den Atem ab, stieß ihr in den Rücken wie ein Beil, riss ihr die Beine weg und ließ sie mit dem Gesicht voran auf den teuren Teppich schlagen. Wie eine Eisenkralle bohrte sich etwas in den zuckenden Muskel und quetschte ihn zusammen. Ein Teil von ihm starb auf der Stelle ab, brachte die Sache für Trude mit einem letzten rasenden Schmerz zum bitteren Ende.

DIE TAGE UND WOCHEN DANACH
    Die Ereignisse in Lukkas Bungalow machten erstaunlich schnell die Runde, dafür sorgte schon Thea Kreßmann. Im Café Rüttgers erinnerte sie bereits am nächsten Tag an die Warnungen, die Gerta Franken ausgesprochen, die leider niemand ernst genommen hatte. Thea bedauerte das Schicksal des rechtschaffenen Bürgers Heinz Lukka, der sein Vertrauen in Ben und den Versuch zu helfen mit dem Leben bezahlt hatte. Sie sprach ihre Achtung aus für Jakob, der sich seiner Verantwortung letztendlich doch noch bewusst geworden war und seinem Sohn den Schädel eingeschlagen hatte, damit dieses Monstrum nicht auch noch in einer Anstalt verschwand und dem Steuerzahler zur Last fiel.
    Trudes Schicksal, überschattet vom schweren Infarkt, dem Grab näher als dem Leben, stellte Thea nicht zur Debatte. Sollte man Mitleid haben und Erbarmen zeigen für eine Mutter, die seit langem hätte wissen müssen, dass sie eine Bestie in Schutz nahm und gegen jeden Angriff verteidigte? Und mit so etwas hatte man nun jahrelang verkehrt und an einem Tisch gesessen.
    Es half nicht viel, dass Sibylle Faßbender aus der Backstube zur Schwingtür kam und Thea darauf hinwies, dass es im Dorf Leute gab, die besser ihr Maul hielten, bevor sich jemand daran erinnerte, mit wem sie sonst noch an einem Tisch gesessen hatte. Thea unterbrach sich nur für einen Augenblick, stammelte entrüstet: «Unverschämtheit» und kam wieder zum Thema zurück.
    So weit hätte das alles nicht kommen müssen. Sie hatte Trude doch schon im Juni gewarnt, als dieses Vieh über Albert und Annette hergefallen war. Und was hatte Trude unternommen? Einen Scheißdreck. Es war leider nichtmehr zu ändern. Es blieb nur noch zu hoffen, dass Bens kleine Schwester überlebte und der Himmel ein Einsehen hatte und ihn an seinem Schädelbruch krepieren ließ.
    Sibylle Faßbender stampfte mit Tränen in den Augen in die Backstube, griff nach dem großen
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