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Der Puppendoktor

Der Puppendoktor

Titel: Der Puppendoktor
Autoren: Brigitte Aubert
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den Jungen mit dem Rasiermesser zu erledigen, aber er beherrschte sich mühsam. Er brauchte ihn noch. Ein Blitz, ganz nah, der die Szene erleuchtete. Marcel hatte sie gesehen. Er ging in Position. Er zog die Waffe. Unmöglich, bei diesem dichten Regen zu zielen. Und der Junge war zu nah, aber am Leben. Unleugbar am Leben.
    Costello wartete, an einen Baum gelehnt, die Waffe gezogen, das Megafon in der anderen Hand. Er war schweißgebadet, kalter Schweiß. Ihm graute vor Blitz und Donner, vor diesem kosmischen Spektakel. Und wenn der Blitz in den Baum einschlüge? Er trat einen Schritt vor in den Regen. Und wenn der Psychopath plötzlich hinter ihm auftauchte? Er wich zwei Schritte zurück unter den Baum. Dieser Glückspilz von Ramirez war zu beneiden. Er saß im Wagen, im Trockenen.
    Ramirez war nicht im Trockenen. Barhäuptig stand er im Regen und starrte ängstlich in die Dunkelheit.
    Wieder ein Blitz. Marcel riss die Augen auf. Niemand mehr da! Er ließ sich vom Baum herunter, rannte im Zickzack bis zur Mauer. Jean-Jean sprang hervor, die Waffe auf seinen Kopf gerichtet: »Halt! Polizei!« Dann erkannte er Marcel und ließ den Arm sinken.
    »Er ist abgehauen!«, schrie ihm Marcel zu. Sie stürzten los, sprangen über die Mauer. Fast hätte Costello auf sie geschossen.
    »Gebt euch doch zu erkennen, verdammt! Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wärt tot!«
    »Er ist uns entwischt!«
    Marcel rannte über die Auffahrt, große schnelle Schritte. Er hörte den keuchenden Atem von Jean-Jean und weiter hinten die Schritte von Costello. Der Lieferwagen stand noch da.
    Als es nach dem Blitz wieder dunkel geworden war, stürzte der kleine Mann los, zog Momo mit sich. Er spürte den Schmerz nicht, achtete nicht auf den Schmerz. Aber vor Wut schleuderte er den Jungen mit aller Kraft gegen die Mauer. Momo wimmerte ein wenig, verstummte dann, war ganz weich geworden. Der kleine Mann trug Momo tief gebeugt wie ein Affe, behindert von seiner Last.
    Er tauchte in der Auffahrt auf, die von hohem Brombeergestrüpp und Gräben gesäumt war. Ein rascher Blick nach rechts, dann nach links. Zwanzig Meter entfernt zwei parkende Wagen, ein roter und ein weißer. Die Wagen der Polizisten. Gut. Er sprang in den Graben und kroch Momo hinter sich herziehend vorwärts. An den Wagen vorbei.
    Kletterte auf den Weg. Kam langsam zu den Wagen zurück. Ramirez lief nervös, bis auf die Haut durchnässt, die Straße auf und ab. Nadja hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt und starrte durch das geöffnete Fenster auf die Ruine, gleichgültig gegen den Regen.
    Der kleine Mann lud Momo auf seine Schulter und setzte sich lautlos in Bewegung. Ramirez hatte ihm den Rücken zugekehrt. Er hockte sich hinter das Heck des Wagens. Ramirez drehte sich nicht um: Er hatte in der Ferne vage huschende Schatten ausgemacht. Eine unverständliche Stimme drang zu ihm herüber.
    Ramirez wandte sich zu Nadja um, eine Gestalt sprang hinter dem Auto hervor, und etwas Hartes, Schmerzhaftes bohrte sich in seinen Bauch, schien bis zu seinem Herzen hinaufzusteigen. Nadja wollte die Scheibe hochdrehen, doch schon packte sie eine kräftige Hand bei den Haaren und schlug ihren Kopf gegen den Türrahmen. Aus der kaum geschlossenen Wunde quoll erneut das Blut hervor und sickerte durch den Verband.
    Der kleine Mann hielt ihr Momos reglosen Körper hin.
    »Setz dich ans Steuer, oder ich mache ihn kalt. Los!«
    Halb betäubt schob sich Nadja mühsam auf den Fahrersitz. Sie hatte Schwierigkeiten, den Zündschlüssel umzudrehen. Neben ihr saß der kleine Mann und drückte das Rasiermesser an die Kehle des Jungen, der noch immer reglos, mit geschlossenen Augen und blutender Stirn dalag. Die hellen Flecken näherten sich schreiend.
    »Du sollst fahren, habe ich gesagt - oder ich schneide ihm die Kehle durch .«
    Momos kleine Brust hob sich zu einem Stöhnen. Nadja wischte sich das Blut ab, das ihr in die Augen lief, und fuhr an.
    Der Wagen machte einen Satz. Das Rasiermesser bohrte sich in Momos Haut.
    »Nein!«, schrie Nadja entsetzt.
    »Dann pass auf. Los, gib Gas.«
    »Ich kann nicht Auto fahren.«
    »Gib Gas, verdammt noch mal!«
    »Ich kann nicht fahren. Das ist reiner Selbstmord!«
    Der kleine Mann verstärkte den Druck auf die Klinge. Nadja gab Gas. Der Wagen fuhr mit heulendem Motor an. Sie versuchte, sich an die wenigen Male zu erinnern, als ihr Moussa zum Spaß das Fahren hatte beibringen wollen. Der Regen behinderte die Sicht. Sie wusste nicht, wie man die Scheibenwischer
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