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Der Puppendoktor

Der Puppendoktor

Titel: Der Puppendoktor
Autoren: Brigitte Aubert
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stellte sich keine Fragen: Seine Hand schnellte vor, und die Klinge stieß in den Unterleib des kleinen Mannes wie ein Messer in die Frühstücksbutter.
    Den Kopf zurückgeworfen, schrie der kleine Mann wie ein wütender Wolf. Momo landete auf dem Boden und rannte zu seiner Mutter.
    Noch ehe Jean-Jean etwas sagen konnte, drückte Costello ab. Er leerte sein ganzes Magazin auf den taumelnden Körper des kleinen Mannes, den die Wucht der Schüsse gegen die Tür des Führerhauses schlug.
    Das Blut spritzte aus seinem Körper wie aus einem aufgeschlitzten Plastiksack. Nadja war erstaunt über ihre Gefühlskälte, sie empfand keinerlei Entsetzen beim Anblick dieses sterbenden Mannes.
    Costello zielte noch weiter, als seine Waffe schon leer war. Er seufzte tief, bevor er sie einsteckte. Jean-Jean lief zu dem reglosen Körper, der vor dem Trittbrett zusammengebrochen war. Nadja drückte Momo an sich, streichelte hingebungsvoll sein Haar und flüsterte ihm beruhigende Worte zu. Marcel kam zu ihnen. Sein roter Schnauzbart troff vom Regen und verlieh ihm das Aussehen einer nassen Katze. Nadja lächelte ihn an, ein kleines, blutverschmiertes Gesicht.
    Der Lastwagenfahrer machte einen Bogen um Costello, der mit hängenden Armen dastand, und ging zu Jean-Jean.
    Der Regen hörte plötzlich auf, so als kündige die Morgendämmerung einen Szenenwechsel an.
    Gleich würden die Zikaden wieder zu zirpen und die Fliegen zu surren beginnen.
    In der Ferne heulte eine Polizeisirene.
    Marcel ging zu dem kleinen Mann und beugte sich über ihn.
    Die Augen waren weit geöffnet, die hochgezogenen Lippen entblößten die spitzen Zähne, die noch immer bereit zum Zubeißen schienen.
    Marcel. Über mich gebeugt. Das Letzte, was ich von dieser Welt sehe. Sein Idiotenkopf, der mich anschaut. Und darüber der Morgenstern.
    Marcel zuckte die Achseln und kehrte zu Nadja zurück. Er hob Momo hoch und setzte ihn auf seine Schultern. Der Kopf des Kindes schwankte vor Erschöpfung hin und her.
    Nadja legte ihre Hand auf Marcels Brust.
    »Ich muss dir etwas sagen .«
    »Weiß ich schon.«
    Sie sah ihn überrascht an.
    »Niemand weiß es.«
    »Ich schon. Hast du vergessen, dass du demnächst mit einem Polizisten leben wirst?«
    »Du weißt es, und es ist dir egal?«
    »Ja, es ist mir egal. Ich will nichts mehr davon hören, das ist alles.«
    »Ich habe Geld gebraucht.«
    »Deine Entschuldigungen sind mir auch egal. Ich liebe dich.«
    In der Nähe hielt ein Mannschaftswagen, gefolgt von einer Motorradstreife. Ein hoch gewachsener Kerl sprang aus dem Auto und lief zu Jean-Jean. Costello rauchte, langsam, Zug für Zug, andächtig. Er fragte sich, ob die kleinen Nagetiere schon Ramirez' Körper angefressen hätten.
    Der Krankenwagen kam. Ein Sanitäter gab dem unter Schock stehenden LKW-Fahrer eine Tablette. Ein anderer tastete Nadjas Kopf ab, untersuchte kurz Momo, der in den Armen seiner Mutter lag, und ließ sie versprechen, am nächsten Tag ins Krankenhaus zu kommen.
    In einem Anfall von männlicher Kameradschaftlichkeit drückte Jean-Jean Marcel die Hand. Der arme Blanc, seine erste Frau war gerade ermordet worden, und schon will er eine farbige Nutte heiraten. Es gab doch tatsächlich Typen, die vom Pech verfolgt waren. Aber er war ein guter Polizist. Er würde ihn für eine Beförderung vorschlagen.
    Marcel schüttelte Jean-Jean die Hand. Ein widerlicher Kerl, dieser Jean-Jean, aber ein guter Polizist. Im Leben gab es eben nicht nur Schwarz oder Weiß. Das galt auch für Nadja. Sie war nicht perfekt, aber genau die, die er wollte.
    Nadja fröstelte vor Kälte, Müdigkeit und nervöser Anspannung. Marcel und Jean-Jean schüttelten sich mit jener bedeutungsvollen Miene die Hand, die selbstzufriedene Männer an den Tag legen. Marcels Schnauzbart hing herunter wie nasses Katzenfell. Sie hätte ihn gerne gestreichelt, doch sie hielt sich zurück. Jean-Jean war ein richtiger Macho, Marcel war ein guter Kerl - und ein guter Polizist. Die graue Nacht wich den leuchtenden Farben des Morgens, und ihr Sohn lebte.
    Momo war eingeschlafen.
    Am Dienstag, den 24. August, um 6.05 Uhr wurde mein Körper ins Leichenschauhaus gebracht.

EPILOG
    Zwei Stunden später war das Urteil gesprochen: Ich, der König der Raubtiere, der Puppendoktor, muss in der Gestalt einer einfältigen Polizistin auf die Erde zurückkehren und in der Abteilung dieses Idioten von Jean-Jean arbeiten!
    Seither ist mein Tod die Hölle.
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