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Der Puppendoktor

Der Puppendoktor

Titel: Der Puppendoktor
Autoren: Brigitte Aubert
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still vor sich hin und entblößte dabei seine hässlichen spitzen Zähne, gelb vom vielen Rauchen und seltenen Putzen. Er verabscheute den Kontakt mit Leitungswasser und die Vorstellung vom gebändigten Wasser der Dusche, von dem seifigen Geschmack der Zahnpasta und der cremigen Beschaffenheit der Seife, die den angenehmen Geruch der Haut überdeckte. Er konzentrierte sich auf den Bissen in seinem Mund.
    Es ist gut für die Zähne, rohes Fleisch zu kauen. Kau nur kräftig, Kiefer. Entlocke ihm seinen Geschmack. Lass seinen Saft fließen. Zermalme seine köstlichen Fasern vor der Nase des armen alten Marcel!
    Das Walkie-Talkie von Marcel fing plötzlich an zu knistern.
    »Sofortiger Einsatz, ich wiederhole, sofortig, Impasse de la Pompe, an der Ecke Saint-Louis/Joffre.«
    »Schon unterwegs!«
    Mit kleinen athletischen Schritten bog der Polizeibeamte Marcel Blanc in die Sackgasse ein und überholte dabei die junge Frau mit der Tätowierung. Er sandte ihr - zwei Finger am Käppi - einen kleinen Gruß zu, ohne dabei das Tempo zu verlangsamen. Deshalb sah er auch den Laternenpfahl nicht, gegen den er mit voller Wucht stieß. Der Aufprall hallte bis in seine Hacken wider. Aber die Pflicht rief, und er eilte, die Nase verächtlich rümpfend, weiter, während sich auf seiner Stirn eine imposante Beule zu wölben begann.
    Es war dunkel in der engen Gasse. Der Regen hatte so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte. Durch die geöffneten Fenster hörte er die Fernseher laut plärren, sah, wie sich die Familien zu Tisch setzten. Ein Kind fing sich eine Ohrfeige ein, ein alter Mann holte eilig die Wäsche herein, ein Bettgestell quietschte in sportlichem Rhythmus. Marcel ließ den Blick über die mit Abfällen übersäte Straße wandern und blieb stehen. Am Ende der Sackgasse winselte ein kleiner Yorkshire-Terrier.
    Die Hand am Revolver, ging Marcel langsam auf den Hund zu. Der hob den Kopf, schüttelte die rote Schleife, die ihn zierte, und winselte noch erbärmlicher. Marcel machte einen weiteren Schritt.
    Der leblose Körper lag am Boden und steckte zur Hälfte in einer umgekippten Mülltonne. An der Mauer gegenüber stand eine Dame von gut sechzig Jahren, die Handtasche an die Brust gepresst, ein Taschentuch vor dem Mund, der ganze Körper von Schluchzern geschüttelt. Marcel rang nach Luft, trat auf sie zu und stellte fest, dass sie nach Erbrochenem stank. Er atmete lang aus und deutete auf den ausgestreckten Körper.
    »Was ist passiert? Ist dem Herrn schlecht geworden?«
    Der Geruch nach Blut, frischem Blut, stieg ihm plötzlich in die Nase. Die alte Dame schien nicht verletzt. Also … Bilder von Mafia-Abrechnungen und Dealer-Kriegen schossen ihm durch den Kopf.
    Der Yorkshire-Terrier jaulte immer lauter. Marcel trat vorsichtig zu dem ausgestreckten, leblosen Körper, von dem nur die Beine aus dem Abfall herausschauten und vernahm das Heulen der näher kommenden Sirenen.
    »Haben Sie gesehen, was passiert ist?«, fragte er und zögerte so den Augenblick hinaus, da er sich vorbeugen und sich selbst vergewissern musste.
    Die Dame schluchzte nur, das Gesicht noch immer in ihrem Taschentuch vergraben.
    Schockzustand, diagnostizierte Marcel, alte Damen haben schwache Nerven. Gut, dann also ran an den Feind. Er kniete neben dem Mann zwischen den Müllsäcken nieder, wollte ihm schon die Hand auf die Schulter legen, als er mit weit aufgerissenen Augen innehielt.
    Zunächst, weil der betroffene Mann ohne jeden Zweifel tot war. Dann, weil es sich nicht wirklich um einen Mann handelte. Das Problem war, dass es sich auch nicht wirklich um eine Frau handelte. Denn obwohl der Körper in einer Hose steckte, deren geöffneter Schlitz keinen Zweifel an seiner männlichen Anatomie zuließ, war der halb unter Gemüseabfällen steckende Kopf der einer hübschen blauäugigen Blondine.
    Diese anatomische Widersprüchlichkeit hatte weder mit Transvestitentum noch mit Hermaphrodismus zu tun, sondern schlicht und einfach mit dem Schneiderhandwerk. Denn der sauber abgetrennte Kopf der Frau war mit schwarzem Zwirn und großen Stichen am Hals des Mannes festgenäht worden. Man erkannte sie deutlich - eine Linie schwarzer Stiche auf der Höhe der Halsschlagader. Und außerdem, dachte Marcel, während er ausgiebig auf seine Schuhe kotzte, waren auch die Arme angenäht worden, alte faltige, fleckige Arme, und es fehlte, ja, es fehlte eine Hand, das Stück einer Hand, wie … abgebissen …
    Er wurde von einem erneuten Brechreiz geschüttelt, den
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