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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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ist gemacht. Er schlendert die Straße entlang. Ein Mann kommt auf ihn zu, bittet ihn um Feuer.
    »Sind Sie Hanussen, der Hellseher?«
    »Ja«, erwidert der Magier. »Aber ich habe jetzt keine Zeit für Autogramme.«
    »Ich will kein Autogramm«, sagt der Mann.
    Ein Wagen kommt langsam angefahren. Zwei weitere Gestalten kommen aus dem Fond.
    »Wir müssen mit Ihnen sprechen. Es ist ganz wichtig. Steigen Sie ein.«
    Warum steigt er ein? Warum läuft er nicht davon? Warum schreit er nicht um Hilfe? Warum verständigt er keinen Bekannten? Alles geht so schnell und unauffällig, daß die Polizei später lange braucht, bis sie den Vorfall rekonstruieren kann.
    »Zum Obergruppenführer?« fragt Hanussen. »Es muß aber ganz schnell gehen. Ich bin gleich dran.«
    Er setzt sich hinten rechts.
    Die drei Männer im Auto lachen. Er ist doch ein Hellseher. Wie er weiß, daß er gleich »dran« ist … Leise surrt das Auto durch die Nacht. Es sind nicht allzu viele Leute auf den Straßen. Vor einem Kino steht eine Schlange. Kriminalreißer! An der nächsten Kreuzung muß der Wagen halten. Verkehrsstockung! Ein überlanger Möbelzug versperrt den Platz. Die Spediteure haben alle Hände voll zu tun. Die einen ziehen ein, die anderen aus.
    Die Leute im Wagen sprechen nicht miteinander. Hanussen hat sich ihre Gesichter nicht genau angesehen. Sie haben gar keine Gesichter. Sie haben kräftige Gestalten und sehen aus, als ob sie in Stiefeln zur Welt gekommen wären. Sie rauchen ihre Zigaretten so kurz, daß man fürchtet, sie würden sich die Finger verbrennen.
    »Was will der Obergruppenführer von mir?«
    »Was weiß ich?« erwidert der Mann neben Hanussen mürrisch.
    »Ihr fahrt ja ganz falsch.«
    »Wir werden schon wissen, wo wir hinfahren.«
    Auf dem Gehsteig schlendert ein Liebespaar entlang. Er ist 19, sie vielleicht 17. Er hat seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Sie lächelt ihn an. Sie bleiben stehen und küssen sich. Der Wind bläst den leichten Übergangsmantel des Mädchens gegen den jugendlichen Körper. Die beiden haben kein Geld, viel Zeit und noch mehr Liebe, das sieht jeder.
    Ein alter Mann will im Lichtkegel über die Straße gehen, erschrickt und läuft wieder auf den Gehsteig zurück. Der Fahrer lacht. Der Mann neben ihm sagt: »Er soll zu Hause bleiben, der alte Trottel. Was will das Wrack nachts auf der Straße?«
    Langsam kommt es auf ihn zu, das Grauen, auf Erik Jan Hanussen, den Hellseher, der blind in sein Schicksal lief. Das Schweigen, dann die rohen Witze, dann die Leere, dann die Fahrt ins Ungewisse, langsam, aber sicher, ziellos und doch mit Ziel. Mit entsetzlichem Ziel.
    »Halt!« ruft Hanussen. »Laßt mich raus! Ich will sofort aussteigen.«
    Die Männer lachen.
    »Fahrt mich zum Grafen Helldorf. Auf dem schnellsten Weg!«
    »Was geht uns Helldorf an. Halt's Maul jetzt!«
    Ein Polizeiwagen überholt sie. Ein Feuerwehrauto schießt aus einer Querstraße hervor. An einem Bus drängeln sich die Leute. Ein elfjähriger Knirps hebt von der Straße eine glühende Zigarettenkippe auf und zieht daran. In einem Schmuckwarengeschäft geht das Licht aus.
    Und weiter surrt der Wagen leise durch die Nacht. An glücklichen, lachenden, an mürrischen, verbitterten Menschen vorbei, an jungen und alten, an reichen und armen. Sie alle werden den nächsten Tag erleben. Wer merkt es schon, wenn einer fehlt?
    »Ich bin ein reicher Mann«, sagt Hanussen. »Ihr macht euer Glück. Kehrt um! 5000 für jeden! 10.000! 20.000! Hört ihr nicht?«
    »Halt's Maul«, antwortet der Mann neben Hanussen und gibt ihm einen Rippenstoß. »Es ist vorbei mit dir, weißt du das nicht? Mensch, bist doch Hellseher.«
    Die Fahrt dauert lange, unendlich lange, und sie ist doch viel zu kurz. Der Magier wurde von Mördern zum Tod verurteilt und zittert vor Angst. Seine Gedanken gehen im Kreise herum, langsam, schnell, durcheinander. Kein klarer Gedanke. Er schweigt, er redet, er fleht, er zittert, er schreit, er hofft.
    Die letzten Häuser der Stadt liegen hinter dem unheimlichen Auto. Es fährt auf einer Landstraße. Sie führt von Berlin nach Breslau, aber so weit wollen die Männer nicht. Sie haben einen ganz bestimmten Auftrag. Sie werden ihn ausführen. Danach gibt's Schnaps und Bier. Schnaps und Bier für alle und Zigaretten und Pinke. Und morgen geht's weiter, mit noch mehr Schnaps und noch mehr Bier und noch mehr Pinke. Heil Hitler!
    Bei Kilometerstein 27 hält der Wagen. Der Mann, der herausgezogen wird, ist unterwegs schon hundertmal
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