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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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gestorben. Er wird über das Feld gezerrt, in einen Wald, in eine Lichtung, wieder über ein Feld und wieder in einen Wald. Der Ort ist gut gewählt. Glänzend! Das verstehen sie.
    Sieben Schüsse peitschen durch die Nacht. Beim zweiten schon ist Erik Jan Hanussen zusammengebrochen. Aber sicherheitshalber wird er durchlöchert und dann oberflächlich verscharrt.
    An der Hand des Mannes, der im Straßengraben endete, an der Hand des Dämons, des Phänomens, des Artisten von Weltklasse Erik Jan Hanussen ist ein großer Brillantring. Seine Mörder haben ihn übersehen. Den Schmuck in seiner Wohnung, kostbare Ringe, Armbänder, Etuis und Platinnadeln, und die sonstigen Wertgegenstände übersehen sie nicht.
    Kriminalrat Mölders wirkt wie aus dem Ei gepellt. Von allen Beamten des »Alex« ist er der bestangezogene. Die Kollegen lächeln über seine Marotte, sich stets in schneeweißen Seidenhemden und eleganten Maßanzügen an den Schreibtisch zu setzen. Der Teufel mag wissen, wie er sich das leisten kann.
    Der Teufel mag noch viel mehr wissen – zum Beispiel die Hintergründe des Falls Hanussen. Dieser Fall beginnt dem Kriminalrat Mölders, der aussieht wie das Titelbild eines Modejournals und zugreifen kann wie ein Hafenarbeiter, auf die Nerven zu gehen. Ein Künstler, bekannt wie ein bunter Hund, verschwindet spurlos aus Berlin, zehn Minuten vor seinem großen Auftritt in der »Scala«. Jeder Kriminalist weiß, daß die Aufklärung von Vermißtenfällen die undankbarste Sparte der Polizeiarbeit ist. Viel Arbeit und wenig Erfolg. Von vorneherein. Viele Ermittlungen und eine Menge Ärger. Der Kriminalrat forscht verbissen mit der ihm eigenen Gründlichkeit nach, und wenn er ein Jahr dazu brauchen sollte.
    So denkt er wenigstens. Der Mann, den er sucht, hat es ihm angetan. Für die Polizei heißt Erik Jan Hanussen Heinrich Steinschneider. Der Lebensweg des Heinrich Steinschneider steht in den Akten. Für diese Akten interessiert sich die ganze Welt. Nur in Deutschland darf man nichts darüber schreiben. Goebbels, der neue Propagandaminister, wünscht es nicht.
    Immer wieder nimmt Kriminalrat Mölders die Akten zur Hand. Da ist das Verfahren von Leitmeritz: Hanussen war angeklagt wegen Betrugs, er wurde mit Glanz und Gloria freigesprochen. Eine feine Sache. Dann ein verstaubtes Verfahren wegen Verdachts der Unterschlagung in Wien, wegen Haltlosigkeit eingestellt. Damals war es dem Mann noch nicht so gut gegangen wie jetzt. Nicht nur der Kriminalrat riß die Augen auf, als er die tolle Villa in der Lietzenburger Straße zum erstenmal betrat. Sorgfältig hatte die Polizei die Tonaufnahmegeräte, die Duftmaschinen, die Lichtreflektoren betrachtet. Eingehend wurde das Bankkonto Hanussens geprüft. Der Mann hatte Geld wie Heu.
    Warum ist er verschwunden?
    Ist er mit einer Frau durchgebrannt? Wurde er erpreßt, bedroht? Aber von wem? Er hatte die besten Beziehungen.
    Von allen Aufenthaltsorten Hanussens läßt sich Kriminalrat Mölders die Akten kommen. Einen Roman könnte ich schreiben, denkt er sich. Im Berliner Westend treibt er einen ehemaligen Kriegskameraden Hanussens auf. Selbst ihn lädt er vor.
    »Nehmen Sie Platz«, sagt er. »Rauchen Sie? Sie werden sich vielleicht wundern, warum ich Sie gebeten habe, hierher zu kommen, aber der Fall interessiert mich persönlich. Sie kennen doch Hanussen?«
    »Natürlich«, erwidert der Geschäftsführer Fritz Holdt aus Wien. »Und ob. Wir waren während des Krieges in der gleichen Einheit. Damals hat es angefangen mit ihm.«
    »Was hat angefangen?«
    »Zuerst hat er immer Unsinn gemacht auf der Bude. Er hat Streichhölzer mit dem Mund ausgelöscht, Asche auf den Kunsthonig gestreut und gegessen. Wir hielten ihn alle für verrückt. Bis wir dann eines Tages – ich glaube, es war in Flandern – keinen Nachschub mehr bekamen. Es war heiß, und wir hatten entsetzlichen Durst. Die Zunge klebte uns im Munde.«
    »Und was geschah dann?« fragt der Kriminalrat. Es ist eigentlich längst Zeit zum Essen, aber wenn Mölders einen Fall hat, verspürt er keinen Hunger.
    »Steinschneider deutete auf einmal auf den Boden. Er scharrte mit seinem Stiefel ein Loch hinein. ›Da ist Wasser‹, sagte er. ›Wasser‹, hörten wir. Seit zwei Tagen hatten wir von nichts anderem mehr gesprochen.
    Steinschneider war sicher verrückt. Aber wir gruben und wir stießen auf Grundwasser. Wir legten eine Quelle frei. Das war der Anfang. An diesem Kriegstag starb Steinschneider, Hanussen aber wurde
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