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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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macht Hanussen seine übliche Runde. Er fährt über die Boulevards, hält Ausschau nach Bekannten, grüßt lässig und wird zuvorkommend gegrüßt. Ab und zu hält er seinen Wagen an, steigt aus, wechselt ein paar Worte mit einem Bekannten und fährt dann gemächlich wieder weiter. Er hat Zeit. Er hat Geld. Die Leute sollen sehen, daß er Zeit und Geld hat. In der Tauentzienstraße tritt er so ruckartig die Bremse durch, daß ein hinter ihm fahrendes Taxi fast mit seinem Luxusauto zusammenstößt.
    Er hat die Baronin Prawitz gesehen.
    Hanussen steigt aus und folgt ihr. Er läuft so schnell hinter ihr her, daß es die Passanten bemerken und sich darüber wundern. Er legt seine Hand auf ihre Schulter. Sie fährt unwillig herum, erschrickt. Ihr Gesicht rötet sich.
    »Du bist es?« sagt sie.
    »Ich bin es«, erwidert Hanussen. Er hängt sich bei ihr ein.
    Sie zuckt zusammen.
    »Wie geht es dir?« fragt der Hellseher.
    »Gut«, erwidert sie kurz.
    »Und was treibst du?«
    »Kunstgewerbe«, antwortet sie, »kleine Rehe und Hirsche aus Holz. Manchmal auch Hasen, wie es eben bestellt wird.«
    »Das hättest du nicht nötig.«
    »Nein. Das hätte ich nicht nötig.«
    Sie gehen schweigend nebeneinander her.
    »Gehen wir essen?« fragt Hanussen.
    »Das Essen wartet zu Hause auf mich. Am Abend schon vorgekocht. Rindfleisch mit Kartoffelgemüse. Wenn du Lust hast, bist du eingeladen.«
    Hanussen nickt. Etwas bedrückt ihn, beengt ihn, legt sich bleischwer auf seine Schultern. Er sieht die Baronin von der Seite an. Sie ist schmaler geworden, aber das steht ihr gut. Sein Blick streift die brünetten, sorgfältig gepflegten Haare. Er sieht in die rehbraunen Augen mit dem winzigen grünen Tupfen und betrachtet die zierliche, ein wenig nach oben gestülpte Nase.
    Was hat er aus dieser Frau gemacht! Und was hätte er aus ihr machen können! Sie liebte ihn, und er demütigte sie. Sie liebte ihn, und er folterte sie. Mit anderen Frauen bekämpfte er sie. Wie kommt es, daß Frauen die größten Feinde der Frauen sind?
    Sie biegen von der Hauptstraße in eine Nebenstraße ein, von da aus in eine noch kleinere Seitenstraße. Sie halten vor einer Kohlenhandlung, gehen durch die Ausfahrt, überqueren den Hinterhof, betreten eines jener Häuser, die nach Keller und Sauerkraut riechen. Schmutzige Kinder spielen im Hof.
    Die Baronin und Hanussen gehen die Treppe hoch. Sie knarrt. Irgendwie erinnert dieses Milieu – der Hinterhof, der Geruch, die verwahrlosten Kinder – den Hellseher an seine eigene Kindheit in der Millionenstadt Wien, abseits vom großen Glanz der Welt, aber auch abseits von der kleinen Behaglichkeit der bürgerlichen Familie. Irgendwie steigt mit jedem Schritt, den Hanussen zur Wohnung der Baronin hinaufgeht, die Erinnerung in die Vergangenheit hinab.
    So oder so ist das Leben: diesen Schlager pfeifen die Spatzen von allen Dächern. So oder so ist das Leben: Hanussen begann im Slum und endet in der Lietzenburger Straße; die Baronin kam im Schloß zur Welt und haust jetzt im Rückgebäude einer Kohlenhandlung.
    Frau von Prawitz sperrt auf. Ihre Wohnung ist klein und über die Maßen bescheiden. Sie ist sauber. Überraschend sauber. Fast könnte man sie gemütlich nennen.
    »Nimm Platz«, sagt die Baronin, »ich kümmere mich gleich um das Essen.«
    Hanussen setzt sich auf das Sofa. Sein Kopf ist schwer, maßlos schwer. Er stützt ihn auf die Arme. Woher diese Müdigkeit plötzlich? Wo ist die Laune von heute morgen, die Lust, das Leben herauszufordern, die Sucht, noch höher zu steigen, noch größer zu werden?
    »Ist dir nicht gut?« fragt die Baronin.
    »Nein. Mir ist nicht gut.«
    Er lehnt sich zurück. Wie schön hätte es doch sein können! Wenn er vernünftig geblieben wäre! Wenn er diese Frau gehalten hätte! Jetzt, da er Bilanz macht, erscheint ihm sein Leben als eine Summe von Torheiten und Tollheiten.
    Die Baronin stellt das Essen auf den Tisch. Sie lächelt. Wie ruhig sie ist und wie ausgeglichen! Wenn ihr das Leben, das sie führt, verhaßt ist, wie geschickt verbirgt sie es dann!
    Hanussen will sprechen, kunterbunt durcheinander, wie er denkt, wie er fühlt, aber er kann nicht. Immer wenn man am meisten zu sagen hätte, findet man am wenigsten Worte.
    »Deine Freunde haben gesiegt«, sagt die Baronin. »Ich wollte, sie hätten es nicht!«
    Hanussen nickt. Er ist woanders mit seinen Gedanken.
    »Schöne Freunde sind es nicht, oder bist du anderer Meinung?«
    Hanussen nickt wiederum.
    »Ich habe nie
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