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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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verstanden, warum du dich mit ihnen eingelassen hast.«
    »Diesen Leuten gehört die Zukunft.«
    »Was nützt es, wenn sie düster ist?«
    »Fragst du danach, wenn du auf dem Rennplatz auf ein Pferd setzt, welche Farbe es hat? Ob es viel Hafer frißt? Ob es schön aussieht?« erwidert Hanussen gereizt.
    »Auf der Welt gibt es immer weniger Butter als Brot. Butter oder Brot! Du kannst dich entscheiden, ob du viel Brot willst und wenig Butter, oder viel Butter und wenig Brot. Ob du zu den Herren gehörst oder zu den Dienern. Übersetze das in die Wirklichkeit: Ob du mit der Bewegung marschierst oder zu den Besiegten der Bewegung gehörst.«
    Die Baronin zündet sich eine Zigarette an. Sie betrachtet Hanussen wortlos. Sie sieht, daß sein Haar dünner geworden ist, sein Gesicht schwammiger. Die Sätze, die er von sich gibt, kommen viel zu lustlos, viel zu schnell, viel zu mechanisch, als daß sie echt sein könnten. Phrasen dieser Art plappert der Mann am Tag ein dutzendmal herunter, das fühlt die Baronin. Aber warum nur?
    »Kann ich dir helfen?« fragt Hanussen plötzlich. »Ich will dir helfen. Ich muß dir helfen! Das ist kein Leben. Komm zurück zu mir! Fangen wir noch einmal an!«
    »Nein«, erwidert die Baronin, »es gibt kein Zurück! Weder nach Leitmeritz zu meinem Mann noch zu dir. Ich habe hier von vorn angefangen. Sieh dir die hübschen Gardinen an! Gefallen sie dir? Sie kosten 78 Mark. Ich habe sie im letzten Monat verdient. Im nächsten kann ich mir vielleicht ein neues Kleid kaufen. Das ist meine Welt. Sie hat ihre Freuden. Sie sind zwar bescheiden, aber dauerhaft. Allzu viel Butter verdirbt den Magen.«
    Sie setzt sich neben Hanussen. Sie sind einen halben Meter getrennt. Sie sind ganz nahe beieinander und doch so weit voneinander entfernt.
    »Ich habe Angst«, flüstert Hanussen. Er fällt zurück. Er ist blaß. »Etwas weiß ich: Das Ende ist schrecklich. Das Ende ist immer schrecklich. Aber mein Ende ist noch schrecklicher.«
    Er schließt die Augen. Schweißtropfen glitzern auf seiner Stirne. Seine Hände zittern. Das Atmen fällt ihm schwer. Er spricht undeutlich, gurgelnd, heiser. Er preßt die Worte heraus wie unter Zwang, wie wenn er sie irgendwo herholen müßte, irgendwo aus einer Welt, die den meisten Menschen verschlossen ist, vor der sie bewahrt bleiben, vor der sie sich nicht fürchten müssen.
    »Ich habe es immer gewußt«, röchelt Hanussen weiter. »Es ist furchtbar. Seit Jahren, seit Monaten, wenn ich aus dem Schlaf erwache, wenn ich in die blassen verkommenen Gesichter meiner Freunde starre, wenn das hohle Lachen aufgeputzter Frauen verklungen ist, wenn der Tag in das verrauchte Zimmer dämmert, dann steht es vor mir, dann weiß ich, daß ich nicht mehr weit vom Ende bin. Daß ich sterben muß. Schlimmer als ein Hund.«
    Hanussen fährt hoch. Er schiebt den Tisch zur Seite. Er geht auf und ab, drei Schritte vor, drei Schritte zurück.
    »Begreifst du das? Verstehst du das? Merkst du nicht, daß ich abwenden will, was ich seit Monaten, seit Jahren sehe? Das Ende! Daß ich Freunde suche, um es zu verhindern! Daß ich Söldner anwerbe, die mich davor schützen sollen! Daß ich eine Leibwache gegen den Tod zusammenstelle!«
    Die Baronin betrachtet ihn aufmerksam. Empfindet sie außer Mitleid noch etwas für diesen Mann? Weiß eine Frau denn überhaupt, was sie für einen Mann empfindet? Die Baronin jedenfalls weiß es nicht. Sie sieht in sein Gesicht. Sie kennt Hanussen durch und durch. Sie weiß, wo das Theater aufhört und der Ernst beginnt. Sie weiß, wo Hanussen Scharlatan ist und wo Mensch.
    Das ist kein Theater, das ist echt.
    »Du leidest an fixen Ideen«, erwidert sie. »Du weißt doch, daß du öfter Zustände hattest, daß du Geschichten sahst, die sich nie erfüllt haben. Erinnerst du dich an die Sache mit der Witwe, die sich einbildete, ihr Mann sei noch am Leben? Weißt du, wie sie zu dir gekommen ist voller Glauben, voller Hoffnung, um sich von dir ihre Empfindungen bestätigen zu lassen? Erinnerst du dich, wie du sie weggeschickt hast, wie du ihren Glauben und ihre Hoffnung zerstört hast? Erinnerst du dich noch, Erik? Ich weiß, du hörst es nicht gern. Es war eine deiner größten Niederlagen.«
    Hanussen liegt in den Kissen. Seine Augen sind geschlossen, sein Mund ist verkrampft, seine Hände sind ineinandergepreßt. So sieht ein Kranker aus, ein Enttäuschter, ein Gescheiterter.
    »Zwei Tage später kam der Mann damals zurück. Er war in Amerika gewesen und
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