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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels
Autoren: Will Berthold
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alte Hedi! Wie lange ist es schon her, daß er in Wien mit ihr eine Zeit lustiger Liebelei erlebt hat? Fünf Jahre, acht Jahre? Sie waren in Freundschaft auseinandergegangen. Nein, das war kein Drama gewesen. Blond war sie, hübsch, und schon damals neigte sie ein wenig zur Korpulenz.
    Und dann hatte er sie in Berlin wieder getroffen. Von Zeit zu Zeit haben sie sich gesehen, hat er siebeschenkt, hat sie ihn besucht. Und jetzt war sie bei der SA gelandet? Hanussen lächelt vor sich hin.
    Der Schneider kommt pünktlich. Er braucht elf Minuten. Der Magier zieht sich um. In seinem Schlafzimmer klingelt das Telephon. Er hebt ab. Eine aufgeregte Frau ist am Apparat.
    »Wer ist da?« fragt Hanussen barsch.
    Endlich versteht er: Hedi.
    »Was ist, mein Kind, warum bist du so nervös? Brauchst du Geld? Ist dir dein Freund durchgebrannt?«
    Er hält den Hörer verdrossen vom Ohr ab, läßt sich seufzend in einen Polsterstuhl fallen und streckt die Beine von sich. Es wird ein langes Gespräch geben …
    »Erik, hör mir genau zu!«
    »Das tue ich doch schon die ganze Zeit.«
    »Paß auf! Pack sofort deinen Koffer! Schau, daß du noch genügend Geld von der Bank bekommst! Laß dich mit einem Taxi zum Bahnhof fahren, und verreise noch heute nacht ins Ausland! Hörst du, heute nacht noch!«
    »Du bist verrückt.«
    »Nein, Erik. Es ist ganz ernst. Hör zu! Mein Gott, was kann ich nur tun, damit du begreifst! Du bist in Gefahr, Erik! Sie werden dir etwas antun!«
    Hanussen hält den Hörer noch weiter von sich weg. Diese Frauen, immer dieselbe Hysterie! Was hat Hedi nur? Schlecht gegessen und hinterher schlecht geträumt?
    »Wer soll mir etwas tun?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es auch nicht genau. Aber es ist ganz bestimmt so. Ich habe es gehört. Sie haben heute darüber gesprochen. Mehr kann ich nicht sagen. Ich muß vorsichtig sein, Erik. Ich kann nicht zu dir kommen. Dein Haus wird sicher überwacht. Hoffentlich hören sie das Gespräch nicht mit.«
    »Ja, wer denn, zum Teufel?«
    »Fahr, Erik, fahr ganz schnell!«
    Dann hängt sie ein. Hanussen legt den Hörer mißmutig auf die Gabel zurück! Die Welt ist verrückt! Jetzt spielt die Hedi auch noch verrückt! Er gießt sich einen Kognak ein. Die Ahnungen über sein eigenes Schicksal heute morgen bei der Baronin Prawitz sind fern von ihm – himmelweit.
    Er entdeckt ein kleines Loch im linken Socken, zieht ihn aus, holt ein Paar neue Strümpfe aus dem Wäscheschrank.
    Was mag nur los sein mit Hedi? Wird wohl irgendwer intrigiert haben. Das kommt vor. Sie stecken alle den Kopf gleichzeitig in die Krippe und haben deshalb keinen Platz zum Fressen. Und wer zu kurz kommt, redet eben lang. Ich muß morgen mal ein ernstes Wort mit dem Helldorf reden, denkt er sich.
    Hanussen fährt Richtung »Scala« und hält vor dem Bühnenlokal ›Grüner Zweig‹. Er trifft die Wirtin Toni Ott, ebenfalls eine Bekannte aus Wien. Er bestellt einen weiteren Mokka. Sein Herz hat heute einiges auszuhalten.
    »Ich muß mit dir sprechen«, sagt die Wirtin.
    »Du auch?«
    »Ja. Ich habe kein gutes Gefühl. Es liegt etwas in der Luft.«
    »Verflucht, besteht denn heute die ganze Welt aus Hellsehern?«
    »Paß auf, Erik. Gestern waren Männer da, so komische Gestalten. Weißt du, Männer in Windblusen über der Breecheshose und mit SA-Stiefeln. Sie haben nach dir gefragt.«
    »Na, und?«
    »Sie waren so eigenartig, haben sich so seltsam angesehen. Sie wollten wissen, wann du kommst, wann du gehst und ob du allein bist. Weißt du, es waren Typen, bei denen man seine Brieftasche festhält und seine Kinder von der Straße wegpfeift. Sei vorsichtig, Erik. Ich würde an deiner Stelle eine Zeitlang wegfahren.«
    »Unsinn«, knurrt Hanussen.
    Er sieht auf die Uhr. In elf Minuten muß er in seiner Garderobe sein. Die ganze Welt ist heute verrückt. Aber deswegen wird sein Auftritt trotzdem pünktlich um 20.43 Uhr stattfinden. Wie jeden Abend wird er sich lächelnd verneigen, wird den Beifall auf sich zukommen lassen, wird sein Publikum faszinieren.
    Es ist unmöglich, von Erik Jan Hanussen nicht gefesselt zu werden! Achtung, meine Damen und Herren! Sie sehen den größten Hellseher der Welt! Halten Sie den Atem an! Das Schicksal geistert durch den Raum! Der Vorhang wird von der Zukunft weggezogen! Einmalig! Unerhört! Die Sensation der Sensationen! Das werden Sie nie wieder erleben. Betrachten Sie sich den Mann genau, der die Zukunft kennt! Er kann Ihr Schicksal sein!
    Hanussen lächelt. Sein Weg
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