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Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Titel: Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Autoren: Leif GW Persson
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deutlich an die Spaziergänge mit Papa. Ich muss meinen fünften Geburtstag hinter mir haben, weil ich mich plötzlich an mehr erinnere, als ich in meinem Kopf sortieren könnte. Ich erfinde keine Erinnerungen, denn das ist nicht mehr nötig. Ich versuche meinen Vater auch nicht zu idealisieren oder unser Beisammensein zu romantisieren. Genau so war es. Natürlich kam es vor, dass ich stolperte, auf die Nase fiel und mir Hände, Ellbogen und Knie aufschürfte – sogar Indianer können stolpern, wenn sie nicht aufpassen –, und sicher habe ich des Öfteren geheult. Aber daran erinnere ich mich also nicht. Warum auch, wenn man alle anderen Dinge bedenkt, die wirklich zählten. Jene Augenblicke, die ich mein ganzes Leben lang gezählt habe. Die ich immer noch, sechzig Jahre später, zähle.

7.

Der Ingenieur, die höhere Schule, Großvater Gustav und der kleine Leif, an dem nicht gespart werden soll
    Mein Vater ist Zimmermann und Bauarbeiter, und es ist der »Ingenieur«, der entscheidet, ob er Bretter sägen, Nägel einschlagen oder Gräben ausheben und Rohre verlegen soll. Dürfte er selbst entscheiden, dann würde er sicher Ersteres allen anderen Betätigungen vorziehen, da es körperlich nicht so anstrengend ist, aber jetzt hat also der Ingenieur das Sagen. Teilt er ihnen ihre Aufgaben am Tag vorher mit, dann sind Papa und seine Arbeitskollegen zufrieden.
    Einteilung und Anleitung von Arbeitern, eine einfache Aufgabe, schien damals noch gänzlich ohne Berücksichtigung der »wirtschaftlichen Kräfte«, auf die heutzutage verwiesen wird, erfüllt zu werden. In dieser Beziehung war also früher nicht alles schlechter. Zuständigkeiten und Befehle wurden auf eine ansprechende Art konkret und persönlich verteilt. Der Ingenieur hatte das Sagen, und dass Papa, der Vorarbeiter, der doppelt so groß und sicher zehnmal so stark wie der Ingenieur war, einer Gruppe von einem halben Dutzend Arbeitskollegen vorstand, war im größeren wirtschaftlichen Zusammenhang gesehen vollkommen uninteressant.
    Meine Mutter ist Hausfrau, aber da Papa auch Hausmeister in dem Haus ist, in dem wir wohnen, ist sie hauptsächlich damit beschäftigt, hinter anderen aufzuwischen. Das Haus ist sieben Stockwerke hoch und umfasst sechzig Wohnungen, diverse Läden, Keller und Speicher, es gibt also unter anderem hundert Meter Treppen, die alle vierzehn Tage auf Knien geschrubbt werden müssen, wenn sie sich nicht gerade um Papa Gustav und den kleinen Leif kümmern, die Wäsche besorgen, spülen, Grützwurst kochen, Hering braten oder in größter Selbstverständlichkeit unseretwegen in der Wohnung zugange sein muss. Obwohl sie oft krank ist.
    Eines Sonntagnachmittags im Spätherbst, ein paar Jahre bevor ich eingeschult werde. Draußen ist es bereits dunkel. Es ist Zeit für unseren normalen Sonntagnachmittagspaziergang, aber dieses Mal brechen wir mit unseren Gewohnheiten und gehen Richtung Östermalm. Dorthin gehen wir selten, aber heute hatte sich Papa dafür entschieden, will aber nicht erzählen, warum. Wenn ich mich nur etwas gedulde, erzählt er es mir bald. Als wir den Karlavägen erreichen, bleibt Papa stehen und deutet mit der Hand auf ein großes braunes Ziegelhaus, das im Dunkel hinter einem Schulhof, einem Ascheplatz, aufragt.
    »Hier ist die höhere Schule«, sagt Papa. »Die wirst du besuchen, wenn du dich zum Ingenieur ausbildest.«
    Er sagt »wenn«, nicht »falls«. »Wenn du dich zum Ingenieur ausbildest.« Das sagt er, weil sich in seinem Kopf der Gedanke festgesetzt hat, dass an seinem einzigen Sohn nicht gespart werden soll, damit er einmal ein besseres Leben hat als er. Bisher war das sein Geheimnis, aber jetzt enthüllt er es demjenigen, den es betrifft.
    Die höhere Schule macht mir Angst. Sie liegt dort im Dunkel wie ein riesiges zusammengekauertes Tier aus gemauertem Stein. Ich bin nur fünf Jahre alt, und Großvater hat mir erzählt, wie schlimm es ist, in eine normale Schule zu gehen. Wie viel schlimmer muss da eine höhere Schule sein?
    Großvater Gustaf kommt zweimal im Jahr zu Besuch. Auch mein Großvater mütterlicherseits heißt Gustaf. Anders Gustaf, aber er wird Gustaf genannt. Er ist uralt. Laut Papa, der seinen Schwiegervater nicht mag, hätte er schon lange vor meiner Geburt sterben müssen, wenn es auf dieser Welt irgendeine Gerechtigkeit gegeben hätte. Stattdessen ist er springlebendig und macht kein Geheimnis daraus, dass er die Gefühle, die mein Papa für ihn hegt, erwidert. Er trägt einen Anzug mit
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