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Der Prinzessinnenmörder

Der Prinzessinnenmörder

Titel: Der Prinzessinnenmörder
Autoren: Andreas Föhr
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fror am Kragen fest. Kreuthner spürte förmlich, wie der Alkohol aus seinem Körper in die Morgenluft verdunstete. Eine unglaubliche Frische machte sich in Lungen und Kopf breit, und er sah hinauf zum Himmel. Dort verblassten gerade die letzten Sterne. Es würde ein klarer, wolkenlos blauer Januartag werden. Kreuthner betrat den zugefrorenen See. Er war etwa dreißig Zentimeter hoch mit Schnee bedeckt. Kreuthner stieß die Schaufel in den Schnee und stellte fest, dass er pulverig war und leicht. Hier oben waren die Temperaturen seit drei Wochen nicht über minus fünf Grad gestiegen. Der Schnee lag locker auf der Eisschicht. Kein Tauwetter hatte ihn mit dem Eis verklebt. Er musste nur noch weggeschaufelt werden.
     
    Kreuthner ging hinaus auf den See. Etwa fünfzig Meter weit. Es knirschte. Kreuthner konnte nicht ergründen, ob es der Schnee war, der knirschte oder das Eis darunter. Ein weiteres Mal steckte er seine Schaufel in den Schnee und hob den Schnee vorsichtig vom Eis. Dann arbeitete er sich zwei Meter in die Länge vor. Von dem freien Streifen aus trug er zur Linken zwei weitere Meter Schnee ab, bis er eine vier Quadratmeter große Fläche blanken Eises hatte. Erschöpft ließ sich Kreuthner in der Mitte seines Miniatur-Eisstadions niedersinken. Es war inzwischen hell geworden. Mit den Händen wischte er die letzten Schneebrösel zu Seite und betrachtete fasziniert das Eis. Wenn man genau hinsah, dann war es nicht vollkommen eben. Winzige Erhebungen waren zu erkennen, kleine Hochebenen und Tafelberge, platt gedrückt wie Kaugummi auf der Straße. Im Eis selbst sah Kreuthner kleinste Luftblasen und jenseits davon Dunkelheit. Die Eisschicht mochte hier vielleicht dreißig Zentimeter messen. Darunter waren es zwanzig Meter bis zum Seegrund.
     
    Kreuthner starrte auf das dunkle Eis. Die Kälte biss sich durch die Hose, die bereits am Eis festgefroren war, in seine Knie. Doch das kümmerte Kreuthner in diesem Moment nicht. Etwas anderes fesselte seine Aufmerksamkeit: Er meinte mit einem Mal zu sehen, wie sich die Dunkelheit unter dem Eis aufhellte. Ein goldfarbener Fleck mit unscharfen Konturen bildete sich dort in der Tiefe. Der Fleck wurde langsam heller und größer, fast hatte es den Anschein, als komme er auf ihn zu. Kreuthner hatte auf einmal das beklemmende Gefühl, dieses Etwas könne in wenigen Sekunden durch den Eispanzer brechen und sich auf ihn stürzen, ihn packen und mit sich in die Tiefe zerren. Ein Fluchtreflex stieg in ihm hoch. Doch Kreuthner widerstand der Versuchung, aufzustehen und zum Ufer zu rennen. Zum einen klebten die Knie am Eis. Zum anderen sagte er sich, das Eis sei bestimmt dick genug, um das, was da auf ihn zukam – was immer es auch war – aufzuhalten. Aber was war es? Ein Fisch? Dafür war es zu groß. Eine Luftblase? Wo sollte die herkommen? Und auch für eine Luftblase war es zu groß, wie man jetzt erkennen konnte, da das Ding immer näher kam. Ein Teil davon hatte eine käsig bleiche Farbe, die Kreuthner an die Gesichtsfarbe vom Wiebek Toni bei seinem Jahrhundertrausch erinnerte. Je näher das weiße Etwas kam, desto mehr Einzelheiten waren zu erkennen. Es waren Punkte auf dem Weiß, das wiederum umgeben war von einer Art goldener Aura. Die Punkte im Weiß erinnerten an ein menschliches Gesicht. Und wie er diesen Gedanken dachte, da schoss Kreuthner das Adrenalin bis in die Haarspitzen. Denn das, was da näher kam, war ein menschliches Gesicht! Immer deutlicher war es zu erkennen. Lautlos schwebte es auf Kreuthner zu. Langsam und schwerelos, wie im Weltall. Bis es schließlich mit einem Ruck unterhalb des Eises zur Ruhe kam. Es war das Gesicht eines jungen Mädchens. Es hatte die Augen geöffnet und starrte Kreuthner an. Und um das Mädchengesicht herum die goldene Aura, die Kreuthner sehr verwirrte.

[home]
    2 . Kapitel
    W allner kam mit seinem Wagen nicht allzu nah an den Tatort heran. Er musste ihn etwa zweihundert Meter vom See entfernt am Straßenrand abstellen. Die meisten Kollegen waren schon eingetroffen. Ebenso die Feuerwehr, die in der Zwischenzeit das Eis aufgesägt und die Leiche geborgen hatte. Die Feuerwehrleute räumten gerade ihre Sachen zusammen und hinterließen einen spurensicherungstechnischen Trümmerhaufen. Wallner betrachtete das Treiben. Er hatte keine Eile.
     
    Wallner war achtunddreißig Jahre alt, groß und halbwegs schlank – was im Augenblick nicht zu erkennen war. Denn Wallner trug eine voluminöse Daunenjacke. Die trug er den ganzen
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