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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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des ersten Weltkrieges, und damals beschäftigte sich niemand mit astronomischen Phantastereien. Die Sache wurde als spekulative Anfängerarbeit eines jungen Forschers abgetan und geriet bald in Vergessenheit.“
    Das Telefon summte. Oswatitsch rief den Astronomen in die Zentrale: Die Erde hatte sich gemeldet. Arsenjew ging hinaus.
    „Sind sie denn alle umgekommen?“ wandte ich mich an Lao Tsu, der noch immer über das Pult gebeugt saß und mit einer großen Lupe Zeichnungen und Fotografien untersuchte. „Wie war das möglich? Warum flüchteten sie denn nicht selbst in die tiefsten unterirdischen Räume, dort, wo das schwarze Plasma ist … oder leben vielleicht an irgendeiner entlegenen Stelle des Planeten noch einige?“
    „Die Gewißheit haben wir natürlich nicht“, erwiderte der Chinese. „Und wenn wir trotzdem fest davon überzeugt sind, dann nur deshalb, weil wir in die überragende Geisteskraft dieser Wesen großes Vertrauen setzen. Das klingt wie Hohn; aber es ist tatsächlich so.“
    Ich schwieg.
    „Sich selbst vernichten im Gauben, daß man damit die ganze Welt vernichtet – das ist eine große und furchtbare Versuchung …“
    Der Chinese kniff die Augen zusammen und blickte mich an. Nach einer Weile trat Arsenjew in die Kabine. Er war sichtlich aufgeregt.
    „Hört mal“, rief er, „ihr erinnert euch doch noch an die Stelle des Rapports, die uns so in Erstaunen versetzte. Wir nahmen damals an, daß die etwaigen Insassen des Weltraumschiffes die Menschen nicht beachtet hätten, weil sie die ,anderen‘, die wirklichen Schöpfer der irdischen Zivilisation, suchten. Nun hat sich dieser Irrtum aufgeklärt! Man ist nämlich jetzt auf der Erde dabei, mit Hilfe unseres Materials die Übersetzung des Rapports noch einmal zu bearbeiten, und hier haben wir das erste Resultat: Sie suchten keineswegs die Schöpfer unserer Zivilisation oder irgendwelche Lebewesen, sondern forschten nach Einrichtungen, die imstande gewesen wären, die vernichtenden Ladungen abzufangen und auf die Venus zurückzuschleudern.“
    „Ja, das ist möglich“, sagte Lao Tsu und stand auf. „Wurde uns bereits der volle Text gesendet?“
    „Einstweilen noch nicht. Dubois will ihn mir in einer halben Stunde übermitteln. Du und Kollege Chandrasekar, ihr kommt dann bitte gleich mit mir hinüber in die Zentrale. Wir können bei der Gelegenheit die Fortsetzung der Berechnungen funken.“
    Der Mathematiker, der bis jetzt hinter der Isolationswand des Marax gearbeitet hatte, tauchte zwischen den Verteilertafeln auf. Wie aus weiter Ferne hörte ich die Wissenschaftler miteinander reden.
    „So war also das Ende …“, sagte ich. „Sie wollten uns vernichten. Eines aber ist mir unbegreiflich: Waren sie tatsächlich ihrer Veranlagung nach böse?“
    Nach meinen Worten trat Stille ein. Chandrasekar, der am Pult des Marax arbeitete, ließ die Hand mit dem Werkzeug sinken. „Ich glaube nicht daran“, erwiderte er.
    „Das heißt …?“
    Chandrasekar warf das Kabelende, das er in der anderen Hand hielt, auf die Pultplatte. „Was wissen wir über die Bewohner dieses Planeten? Nichts. Wir wissen nicht, wie sie ausgesehen haben, wir können es nicht einmal mutmaßen, wir wissen nicht, wovon ihr Leben erfüllt war … und von all ihrem reichen Gedankengut kennen wir lediglich eines: den Plan und die Methode, uns zu vernichten.“
    Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: „Es ist uns bekannt, daß die Materie blind ist und daß es über ihr keine Vorsehung gibt, die die Wege Irrender berichtigt. Der Mensch bringt Ordnung in den unermeßlichen Raum des Weltalls; denn er schafft Werte. Wesen aber, die sich die Vernichtung anderer zum Ziel setzen, tragen den Keim des eigenen Verderbens in sich – und wenn sie noch so mächtig sind. Was wollen und können wir über sie denken? Die Vorstellungskraft versagt, der menschliche Geist schreckt vor dem Riesenmaß an Leiden und Sterben zurück, das in dem Worte ,Untergang eines Planeten‘ enthalten ist. Sollen wir diese Geschöpfe verdammen? Waren es Ungeheuer, die die Venus bewohnten? Ich glaube es nicht. Gab es nicht auch auf der Erde, innerhalb der menschlichen Gemeinschaft die furchtbarsten Kriege, in denen Bauern, Fischer, Töpfer, Zimmerleute, Beamte und Künstler verleitet und gezwungen wurden, einander umzubringen? Und waren etwa die Millionen und aber Millionen, die in den Kriegen zugrunde gingen, schlechter als wir? Verdienten sie nichts anderes als diesen sinnlosen Tod? Professor
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