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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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als Kulik angenommen hatte, abgestürzt sein.
    Als Obrutschew seine Berichte veröffentlichte, wurde der tungusische Meteor wieder aktuell. Im Jahre 1927 sandte die Sowjetische Akademie der Wissenschaften eine Expedition aus, die unter Kuliks Leitung versuchen sollte, die Einschlagstelle aufzufinden.
    Jenseits der bewohnten Gebiete erreichte die Expedition nach Wochen beschwerlichen Marsches durch die Taiga den Windbruchstreifen. Der Wald war entlang der Meteorbahn auf einer Strecke von mindestens hundert Kilometern umgelegt. Kulik schrieb in seinem Tagebuch: „Ich kann das Ungeheure dieser Erscheinung noch immer nicht fassen … Eine stark hügelige, beinahe gebirgige Landschaft, die sich viele Werst, bis weit hinter den Horizont erstreckt … Im Norden leuchten die schneebedeckten Berge am Chuschmofluß. Von unserem Beobachtungsstand aus erblicken wir ein einziges Chaos: Die Bäume der Taiga sind zu Boden geschleudert. Zehntausende entwurzelte, versengte Stämme und ringsherum ein viele Kilometer breiter Gürtel von Jungholz, das sich zur Sonne, zum Leben empordrängt … Erstaunen packt einen, wenn man diese dreißig Meter langen Waldriesen mit ihren nach Süden gekehrten Wipfeln daliegen sieht … Weiter in der Tiefe der Landschaft geht das Dickicht des jungen Waldes in die verschont gebliebene Taiga über, und nur auf den fernen Gipfeln treten die Kahlflächen noch als helleuchtende Narben hervor …“
    Viele Tage lang kämpfte sich die Expedition durch das Gewirr der umgestürzten, versengten Stämme, die den moorigen Grund bedeckten. Alle diese Bäume zeigten mit ihren Wipfeln nach Südosten, nach der Seite also, aus der der Meteor gekommen war. Am 30. Mai, einen vollen Monat nach dem Aufbruch aus der Faktorei Wanowary, erreichte die Expedition die Mündung des Tschurgumaflusses und schlug dort ihr dreizehntes Lager auf. Nördlich davon dehnte sich ein weiter Talkessel, der wie ein Amphitheater von einem Hügelkranz umgeben war. Dort konnte zum erstenmal festgestellt werden, daß sich die Vernichtung strahlenförmig ausgebreitet hatte.
    „Ich begann“, so schrieb Kulik, „den großen Talkessel in westlicher Richtung auf den Hügelketten zu umkreisen, wanderte Dutzende Werst über kahle Bergrücken: Die Wipfel der gestürzten Stämme lagen nach Westen gekehrt. Dann umschritt ich in riesigem Bogen den Kessel in südlicher Richtung. Dort wendeten seltsamerweise die umgestürzten Bäume ihre Kronen nach Süden. Ich kehrte ins Lager zurück und machte mich von dort aus in östlicher Richtung auf den Weg – hier wiesen die Bäume nach Osten. Ich strengte alle meine Kräfte an und wanderte nochmals nach Süden. Die dort liegenden Stämme wandten ihre Wipfel tatsächlich nach Süden.
    Es war kein Zweifel mehr möglich: Ich hatte die Stelle des Einschlags umkreist! Als feurige Ballung brennender Gase und fester Stoffe war der Meteor hier niedergegangen, in diesem Talkessel mit dem Hügelkranz, der Tundra, den Sümpfen. Wie ein Wasserstrahl, gegen eine glatte Oberfläche gerichtet, strahlenförmig nach allen Seiten auseinanderspritzt, so hatte auch der Strom brennender Gase den Wald im Umkreis von vielen Meilen entwurzelt und dieses furchtbare Bild der Vernichtung hervorgerufen …“
    An jenem Tage waren sämtliche Expeditionsteilnehmer fest überzeugt, daß sie die größten Schwierigkeiten bereits überwunden hätten und nun bald die Stelle sehen würden, wo die gigantische, kosmische Masse mit der Erdrinde zusammengeprallt sei. Tags darauf traten sie den Marsch zum tiefsten Punkt des Talkessels an. Mühsam bahnten sie sich den Weg durch den toten Wald, dessen Stämme zum Teil nur geknickt waren. Ständig drohte das stürzende Holz die Wanderer unter sich zu begraben, zumal unter Mittag, wenn der Wind auffrischte. Sie durften die Bäume nicht aus dem Auge verlieren; denn bald hier, bald dort brachen die Stämme mit ohrenbetäubendem Krach zusammen, und oft konnten die Expeditionsteilnehmer erst in letzter Sekunde beiseite springen. Außerdem mußten sie unausgesetzt den Erdboden beobachten, da es in der Tundra von Giftschlangen wimmelte.
    Das Innere des Talkessels bestand aus kleinen Hügeln, ebener Tundra, Sümpfen, Seen und überschwemmten Flächen. Auch dort lagen die Bäume in verschiedenen Richtungen am Boden; aber sämtliche Wipfel wiesen nach dem Kesselrand. Die kleineren Äste waren verkohlt, die stärkeren und die Stammrinde nur versengt. Gegen die Kesselmitte zu entdeckte man zwischen zerspellten
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