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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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Arsenjew ist der Meinung, daß Maschinen die Bewohner der Venus in den Abgrund trieben. Das steht noch nicht fest; aber nehmen wir an, daß es tatsächlich so gewesen ist. Ja, wurden denn nicht auch die Menschen durch eine Maschinerie in das Verderben gestürzt, durch die tollgewordene, rasende, chaotische Maschinerie der kapitalistischen Gesellschaftsordnung? Wissen wir, wie viele Beethovens, Mozarts, Newtons unter ihren blinden Schlägen umkamen, ehe sie zum Schaffen unsterblicher Werke und Werte heranreifen konnten? Gab es auf der Erde keine Wesen, die das taten, was Ihnen, Pilot, als widersinnig erscheint – gab es bei uns keine Händler des Todes, die beiden kämpfenden Parteien dienten und ihnen Waffen verkauften?
    Wir können hier so manche Parallele finden, und das ist kein Zufall; denn es müssen gemeinsame Gesetze bestehen, denen die Geschichte vernunftbegabter Wesen unterworfen ist. Vernunftbegabter – wie bitter klingt das Wort in diesem Zusammenhang! Es besteht jedoch zwischen uns und den Venusbewohnern ein Unterschied, der ebenso groß ist wie der zwischen Leben und Tod. Über allen Städten dieses Planeten schwebten Atomsonnen, die nicht für Ewigkeiten leuchteten, um Leben zu spenden und sein Gedeihen zu fördern, sondern nur für einen einzigen Augenblick– um es auszulöschen. In einer Temperatur von Millionen Grad siedeten und zerschmolzen ihre prächtigen Gebäude, verbrannten die Maschinen, barsten die Maste der Radiosender und zersprangen die unterirdischen Rohrleitungen. So entstand das Landschaftsbild, das wir wenige Jahrzehnte nach der Katastrophe erblickt haben: Ruinen, Trümmerfelder, Wüsten, Wälder erstarrter Kristalle, Flüsse gärenden Plasmas und – die weiße Kugel, die letzte Zeugin dieses Weltunterganges, deren Schaltwerke, von niemanden geregelt, noch immer rastlos tätig sind. Ohne jeden Zweck und Nutzen werden ungeheure Energien entfesselt, und das wird so lange weitergehen, wie noch das schwarze Plasma in den unterirdischen Speichern und Leitungen pulsiert. Hunderte von Jahren vielleicht … falls nicht inzwischen der Mensch von diesem Planeten Besitz ergreift.“
    „Eine furchtbare Hinterlassenschaft“, flüsterte ich.
    „Ja“, sagte Arsenjew, „aber wir haben das Recht, die Hand danach auszustrecken. Als die Menschen auf unserer Erde verstehen lernten, daß sie der gleiche Stern als gleiche Wesen durch den Raum trägt, daß sie, so wie wir jetzt im kleinen, die Besatzung eines Schiffes sind, die ein gemeinsames Wollen verbindet, da standen sie vor einem Abgrund. Angesichts des Unterganges, den die gesellschaftliche Entwicklung dem Imperialismus brachte, versuchte dieser die gesamte Menschheit mit sich ins Verderben zu ziehen. Damals, als die Menschen ihn niederrangen, kämpften sie um mehr, um etwas viel Größeres als um das nackte Dasein. Das Leben allein gibt der Welt ihren Sinn. Deshalb werden wir auch den Mut haben, auf die Venus zurückzukehren. Wir werden für immer ihrer Tragödie ein Andenken bewahren, der Tragödie des Lebens, das sich gegen das Leben erhob und dabei selbst vernichtet wurde.“ Arsenjew trat an den Televisor.
    „Freunde. Die Expedition zur Venus ist nur eine Etappe, der erste Schritt auf einem Wege, dessen Endziel keiner von uns vermuten kann. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir auch die Grenzen unseres Sonnensystems überschreiten, daß wir auf Tausende Himmelskörper, die um andere Sonnen kreisen, unseren Fuß setzen werden. Nach Millionen, vielleicht nach Milliarden Jahren wird die Zeit kommen, wo der Mensch die ganze Milchstraße bevölkert und die Lichter des nächtlichen Himmels ihm so nahe, so vertraut sind wie die Lichter entfernter Häuser. Wir können diese Zeiten nur dunkel ahnen; aber eines weiß ich, daß die Liebe bis dahin nicht zu bestehen aufhört; denn erst durch sie spiegelt sich die Schönheit der Welt in den Augen des Nächsten wider.“ Arsenjew stand unter dem Leuchtschirm. Ein schwacher Abglanz von den Schwärmen flimmernder Sternenstäubchen schien auf sein Gesicht zu fallen. Lange Zeit verharrten wir in Schweigen, als lauschten wir Stimmen aus unendlich fernen Welten.
    Da klingelte das Telefon. Lao Tsu nahm den Hörer ab, dann legte er ihn neben den Apparat und blickte zu Arsenjew hinüber.
    „Die Erde ruft uns!“
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