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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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mit magnetischen Schwingungen auf dem Draht festgehaltene „Dokument“ vor der Katastrophe abgeworfen. Es fehlte aber auch nicht an anderen Stimmen, die behaupteten, die Spule sei durch die Explosion aus dem Schiffskörper geschleudert worden. Als Beweis führten sie die offensichtliche Veränderung der Hülle unter dem Einfluß hoher Temperaturen an.
    In der Tagespresse wie auch in den wissenschaftlichen Blättern kam es zu langen Diskussionen über die Herkunft des Weltraumschiffes. Es gab wohl keinen Planeten unseres Sonnensystems, der nicht verdächtigt wurde, es ausgesandt zu haben. Selbst den fernen Uranus und den riesigen Jupiter nahm man nicht aus. Im großen und ganzen teilten sich jedoch die Ansichten in zwei Lager: Venus und – fast doppelt so stark – Mars. Noch nie hatte die Astronomie so viele Anhänger gehabt wie in diesem Jahr. Es wurden unwahrscheinlich hohe Auflagen von populär- ja auch fachwissenschaftlichen Büchern herausgebracht, und die Nachfrage nach astronomischen Amateurinstrumenten, besonders Fernrohren, stieg derartig an, daß die bestversorgten Lager ausverkauft waren.
    Die astronomische Thematik drang sogar in die Gefilde der Kunst ein. Es erschienen phantastische Romane über rätselhafte Lebewesen auf dem Mars, denen die Autoren die verblüffendsten Eigenschaften zuschrieben. Einige Fernsehstationen nahmen in ihre Wochenprogramme spezielle Astronomiesendungen auf. Eines außerordentlichen Erfolges erfreute sich eine Berliner Fernsehübertragung „Die Reise zum Mond“, die von allen Stationen der nördlichen Halbkugel übernommen wurde. Die Zuschauer konnten zu Hause die Oberfläche des Mondes in dreitausendfacher Vergrößerung betrachten, da die Fernsehsendeapparatur unmittelbar mit dem großen Teleskop des Heidelberger Observatoriums gekuppelt war.
    Die inzwischen gebildete Internationale Übersetzungskommission begann ihren berühmten „Kampf mit dem Draht“, wie ihn der wissenschaftliche Sonderkorrespondent der „Humanité“ nannte. Die Arbeit der besten Ägyptologen und Sanskritforscher, der Spezialisten für tote und verschollene Sprachen, erschien wie ein Kinderspiel im Vergleich zu der Aufgabe, die jene Gelehrten erwartete. Der Rapport setzte sich aus mehr als achtzig Milliarden magnetischer Schwingungen zusammen, die in der kristallinischen Struktur des Metalldrahtes festgehalten waren. Die einzelnen Gruppen dieser Schwingungen waren durch kurze Intervalle nichtmagnetisierten Drahtes voneinander getrennt. Unwillkürlich drängte sich der Gedanke auf, daß jede Gruppe ein Wort darstelle. Diese Annahme konnte aber ebensogut irrig sein – wenn der angebliche Rapport nichts als eine Aufzeichnung verschiedener Meßinstrumente war. Selbst dann, wenn der Rapport mit Hilfe von Worten abgefaßt wäre, so urteilten viele Wissenschaftler, könne der Aufbau seiner Sprache ein ganz anderer sein als bei allen auf der Erde bekannten Sprachen. Aber auch diese Gelehrten waren sich darüber einig, daß eine solche Chance, wie sie sich der Wissenschaft zum erstenmal in der Geschichte bot, auf keinen Fall versäumt werden durfte.
    Am schwierigsten war der Anfang. Als die Kommission die Arbeit aufnahm, bestand ihr gesamtes Material in einer Spule magnetisierten Drahtes. Zunächst wurde der ganze Draht durch eine Apparatur geleitet, die die magnetischen Schwingungen auf einem Filmstreifen registrierte. Das wertvolle Original wanderte in den unterirdischen Tresor, während die Gelehrten von nun an ausschließlich mit den Filmkopien arbeiteten.
    Bei den einleitenden Beratungen wurde beschlossen, den einzigen Weg, der Erfolg versprach, zu beschreiten. Die Worte einer jeden Sprache sind Symbole, die bestimmte Gegenstände und Begriffe bezeichnen. Deshalb stützt sich die Entzifferung der Sprachen ausgestorbener Völker, von Chiffren und ähnlichen Kryptogrammen auf Regeln, die allen Sprachen gemeinsam sind. Man forscht vorerst nach Symbolen, die am häufigsten auftreten, untersucht, ob die betreffende Sprache Bild-, Buchstaben- oder Silbencharakter besitzt, und – was das wichtigste ist – man sucht nach einem Anhaltspunkt, der es ermöglicht, wenigstens die Bedeutung eines Ausdrucks zu verstehen.
    In früheren Fällen war den Forschern gewöhnlich ein glücklicher Zufall zu Hilfe gekommen. So hatte man einst, auf einem Grabstein eingemeißelt, den gleichen Text in ägyptischen Hieroglyphen und in griechischer Schrift gefunden. Ähnlich verhielt es sich mit der Entzifferung der
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