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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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babylonischen Keilschrift.
    Überall dort aber gab es einen grundsätzlichen Gesichtspunkt: Die Schöpfer dieser unbekannten Sprachen waren Menschen gewesen, genau wie die Forscher; sie hatten einmal auf demselben Planeten gelebt, unter derselben Sonne hatten sie dieselben Gestirne, die gleichen Gewächse, das Meer geschaut, und diese gleichen Daseinsbedingungen waren der Bildung allgemeingültiger Symbole günstig. Ganz anders lagen die Dinge jetzt. Welche Begriffe konnten diesen unbekannten Wesen und den Menschen gemeinsam sein? An welcher Stelle mußte man die Brücke über den Abgrund schlagen, der die Geschöpfe verschiedener Himmelskörper voneinander trennte? Ein Bindeglied nur gab es: die Materie.
    Das ganze Weltall, vom kleinsten Sandkorn unter unseren Füßen bis zu den entferntesten Sternen, ist aus den gleichen Atomen aufgebaut. In allen, auch in den verborgensten Winkeln wird die Materie von den gleichen Gesetzen beherrscht, und sie alle können mit Hilfe der Mathematik in Formeln ausgedrückt werden. Wenn bei der Niederschrift des Rapports mathematische Ausdrucksmittel verwendet wurden, so sagten sich die Wissenschafter, dann gab es eine Chance. In jedem anderen Fall würde der Rapport für alle Zeiten unentziffert bleiben.
    Der Gedanke, von dieser Seite an die Lösung heranzugehen, stellte jedoch nur den ersten Schritt auf einem unerhört schwierigen und langen Wege dar. Es hätte den Anschein haben können, daß man den Rapport nur im Hinblick auf die wichtigsten physikalischen Gesetze zu überprüfen brauchte. Das war aber in diesem Anfangsstadium der Untersuchung nicht möglich, zumal es sich um zu viele solcher Gesetze gehandelt hätte. Das schlimmste war, daß man nicht wußte, was für ein algorithmisches System die Verfasser benutzt hatten. Das Dezimalsystem, das sich aus neun Grundzahlen und der Null aufbaut, scheint nur dem Laien selbstverständlich, ist es aber keineswegs für den Mathematiker. Wir haben es angenommen, weil wir zehn Finger an den Händen haben und die Hände in längst vergangenen Zeiten den Menschen als „Rechenmaschine“ dienten. Theoretisch ist jedoch eine beliebige Anzahl solcher Systeme möglich, vom Zweiersystem, in dem nur zwei Zahlen, die Eins und die Null bestehen, über das Dreier-, Vierer-, Fünfersystem und so weiter bis ins Unendliche fortschreitend. Während ihrer Arbeiten beschränkte sich die Ubersetzungskommission aus praktischen Gründen auf neunundsiebzig Systeme, vom Zweier- bis zum Achtzigersystem. Die Aufgabe lautete also: Millionen magnetischer Schwingungen zu überprüfen und für jede dieser Schwingungen ihren Wert in neunundsiebzig Zahlensystemen zu berechnen. Schon das allein ergab ungefähr eine Billion Berechnungen, war aber erst der Anfang; denn die gewonnenen Ergebnisse mußten noch überprüft und unter ihnen die herausgesucht werden, die physikalischen Konstanten entsprachen. Von solchen Konstanten, wie Ladungen, Atomgewichte und Elemente, gibt es einige Hundert. Doch auch das genügte noch nicht. In dem riesigen Zahlenmeer konnten sich Resultate finden, die ganz zufällig einigen Konstanten entsprachen. Man mußte also außerdem noch Kontrollberechnungen anstellen. Die Gesamtheit dieser Arbeiten, die erst den Beginn der eigentlichen Übersetzung bildeten, hätte Tausende der besten Mathematiker ihr ganzes Leben lang beschäftigt. So aber wurde sie im Verlauf von siebenundzwanzig Tagen bewältigt.
    Der Übersetzungskommission stand das damals größte Elektronenhirn der Welt zur Verfügung, eine mächtige Maschine, die vier Stockwerke des Mathematischen Instituts in Leningrad einnahm. Die Arbeit dieses gigantischen Denkapparates wurde von einer Zentrale aus geleitet, die sich im obersten Stockwerk des Instituts befand. Von dort aus erteilte ein Stab von Spezialisten dem Elektronenhirn den Befehl, alle Zeichen des Rapports zu untersuchen und unter ihnen Analogien physikalischer Konstanten festzustellen. In jedem einzelnen Fall sollte es diese Aufgabe in allen neunundsiebzig Zahlensystemen durchführen, die auf diese Art gefundenen Resultate überprüfen, jeden Teilabschnitt seiner Arbeit vermerken und das Ergebnis sofort bekanntgeben.
    Die Zentrale war ein runder Saal aus weißem Marmor. An den Wänden flimmerten grünliche Leuchtschirme, auf denen die Ergebnisse der fortschreitenden Operationen abzulesen waren. Von dem Augenblick an, als die ersten perforierten Streifen mit den Befehlen in der Tiefe des Mechanismus verschwanden und die
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