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Der Pate von Florenz

Der Pate von Florenz

Titel: Der Pate von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Überbauten gaben den Blick auf den Fluss frei.
    Der Laden von Benvenuto Varsini lag beinahe auf dem höchsten Punkt des Brückenbogens und beanspruchte mehr Platz als jedes andere Geschäft. Über der Eingangstür hing ein seltsames Ladenschild, das ein fettes rosiges Ferkel auf schwarzem Grund zeigte. Fiora hatte den Speziale schon seit ihrem ersten Besuch nach dem Sinn des Schildes fragen wollen, es aber jedes Mal unterlassen, wohl weil sie es stets eilig hatte, das Gewünschte zu bekommen, und sogleich aus dem Laden flüchtete, bevor der Apotheker ihr unangenehme Fragen stellen konnte.
    Als sie das Geschäft betrat, fühlte sie sich sogleich umfangen von einer Fülle der unterschiedlichen und heftig miteinander konkurrierenden Gerüche. Ein Speziale handelte nicht nur mit getrockneten Kräutern, Pulvern, Salben und Tinkturen, derer die Heilkunde bedurfte, sondern auch mit Farbstoffen, Pigmenten und allerlei Utensilien, die Maler von Tafelbildern, Porträts oder Fresken für ihre Arbeit benötigten. Dazu kam schließlich noch eine Vielzahl von Gewürzen, Spezereien und, nicht zu vergessen, von Zuckerwerk, wie etwa Bonbons, Dragant, Marzipanteilchen oder Pignolenkuchen.
    All das war verborgen in dunklen Schränken, die in unzählige Schubladen und Schütten unterteilt waren, oder stand auf Wandregalen voller unterschiedlicher Behälter aus schwerem Steingut, stumpfem Terrakotta und buntem Majolika. Sorgfältig verstöpselte Gefäße aus dunkelbraunem, grünem oder blauschwarzem Glas reihten sich schier endlos aneinander. Alle trugen entweder lateinische Beschriftungen oder rätselhafte Zeichen und römische Ziffern, deren Bedeutung nur dem Speziale bekannt war.
    Metallene Messbecher, Schneidewerkzeuge aller Art, unterschiedlich große Mörser aus Stein und Messing sowie drei Waagen mit ihren markierten Gewichten nahmen einen Gutteil des blank geputzten Ladentisches ein. Auf der kleinsten dieser Waagen, die sich wie ein zerbrechliches Spielzeug ausnahm, wog der Speziale die besonders gefährlichen Mittel ab, die nur in messerspitzengroßer Menge verkauft wurden, etwa Viperngift oder Blauen Eisenhut. Fiora hoffte inständig, dass Benvenuto Varsini keine Fragen stellen würde, wenn er gleich hörte, dass sie diesmal eine veränderte Rezeptur brauchte.
    Als sie eintrat, bimmelte die Türglocke. Der Speziale stand hinter seinem Ladentisch und putzte die dicken Gläser seiner Brille. Fiora fiel ein Stein vom Herzen. Gott sei Dank hielten sich keine anderen Kunden im Laden auf.
    Ein besorgter Ausdruck trat auf das knochige Gesicht des hageren Apothekers, nachdem er seinen Nasenkneifer aufgesetzt und erkannt hatte, wer ihn an diesem frühen Morgen beehrte.
    Fiora zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, wich jedoch seinem forschenden Blick aus, indem sie sogleich an den Ladentisch trat, in ihren Korb griff, ein kleines Bündel aus altem Leinentuch hervorholte und es auseinanderwickelte. Zum Vorschein kam ein kleines braunes Glasfläschchen.
    »Bitte füllt es wieder«, bat sie den Speziale und schob ihm das leere Fläschchen über die glatte Tischplatte zu. »Ihr wisst schon, mit Eurem besonderen Nerventrank.«
    Varsini stutzte. »Warst du nicht erst vor einer Woche bei mir?«, fragte er stirnrunzelnd.
    Fiora tat, als wäre sie verblüfft. »Letzte Woche? Nein, da irrt Ihr Euch. Bestimmt verwechselt Ihr mich. Mein letzter Besuch liegt schon sehr viel länger zurück«, versicherte sie, obwohl sie sehr genau wusste, dass der Speziale sich nicht täuschte.
    »Ich könnte schwören, dass du …«
    »Verzeiht mir, aber ich bin in Eile. Ich habe noch andere Besorgungen zu machen«, fiel sie ihm höflich ins Wort. »Zu Hause wartet man auf mich. Bitte, füllt das Fläschchen rasch wieder auf. Und vielleicht könnt Ihr diesmal die Wirkung noch ein wenig steigern …«
    »Steigern?« Varsinis Gesicht nahm einen Ausdruck ernster Besorgnis an.
    Fiora nickte knapp. »Das hat man mir aufgetragen, Euch zu sagen«, erwiderte Fiora und senkte den Blick. Anfangs hatte sie Benvenuto Varsini nur alle vier Wochen aufsuchen müssen. Dass sie nun immer öfter kommen musste und dass der Trank längst nicht mehr so wirksam war wie zu Beginn, machte ihr mehr Angst, als sie sich einzugestehen wagte, und es bereitete ihr jeden Tag größere Mühe, den entsetzlichen Gedanken beiseitezudrängen, was bloß geschehen sollte, wenn das Elixier eines Tages überhaupt nicht mehr wirkte.
    »Nun, mich geht es ja nichts an. Aber mit diesem überaus
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