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Der Pate von Florenz

Der Pate von Florenz

Titel: Der Pate von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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fünf Stockwerke reichenden Fassaden der einfachen Mietshäuser aus stumpfem, vielfach rissigem Backstein oder aus pietra serena, dem graugrünen Stein aus dem nahen Fiesole, wirkten im gnädig weichen Schein der aufgehenden Sonne weniger schäbig.
    Dadurch fiel der Kontrast zu den stattlichen Häusern des entmachteten, aber immer noch stolzen Adels und der Patrizier und zu den protzigen Palazzi des populo grasso 1 , der reichen Kaufmannschaft, zu dieser frühen Stunde längst nicht so krass aus. Noch immer galt es in Florenz als ganz normal, dass in jedem Viertel Reich und Arm nebeneinander wohnte und dass herrschaftliche Residenzen mitten zwischen gewöhnlichen Läden, lauten Werkstätten, Stallungen und schäbigen Unterkünften des einfachen Volkes standen. Jeder Reiche hielt mehr oder weniger großzügig die Hand über sein Viertel und schaffte damit Abhängigkeiten, die im ewigen politischen Ränkespiel der Stadt eine gewichtige Rolle spielten.
    Bis auf den dunklen Grund der Gassenschluchten reichte das Tageslicht zu dieser frühen Stunde allerdings noch nicht. Das lag an den gemauerten Stützbögen, die sich in unregelmäßigen Abständen quer über die Gassen spannten, aber auch daran, dass die oberen Stockwerke vieler Häuser von beiden Seiten in die Straße hineinragten. Bei schlechtem Wetter konnte man darunter Schutz suchen und in den heißen Sommermonaten den kühlen Schatten genießen.
    Fiora wollte so schnell wie möglich hinüber in den Osten der Stadt und zum Laden des Speziale Benvenuto Varsini auf der Ponte Rubaconte. Doch in dem Gewirr aus engen Gassen herrschte auch zu dieser früher Stunde schon ein lärmendes Gedränge und Geschiebe.
    Mit dem ersten Licht des Tages war Florenz zu geschäftigem Leben erwacht. Zudem strömten aus dem contado, dem toskanischen Umland, seit der Öffnung der Stadttore bei Sonnenaufgang unzählige Tagelöhner auf Arbeitssuche, Bauern mit ihren Erzeugnissen, Viehtreiber, Pilger, Kuriere und Handelsreisende aus aller Herren Länder in die Stadt, nicht zu vergessen die ebenso bunte wie zwielichtige Schar aus Fahrensleuten, Bettlern, Taschendieben, Wanderhuren und anderem Gesindel.
    Überall knarzten, quietschten und polterten Fensterläden, Haustüren und Werkstatttore wurden aufgestoßen, damit Licht und Luft in die dunklen Räume fielen. Dazu klapperten die klobigen Holzpantinen der Mägde und der bastagi, der niederen Bediensteten, über das bucklige Kopfsteinpflaster. Mit schweren Eimern voller Asche traten sie hinaus in den frischen Morgen oder leerten das Nachtgeschirr in die Abflussrinnen. Sie lieferten sich einen lärmenden Wettstreit mit dem hellen Hufschlag von schwer beladenen Maultieren und berittenen Pferden und mit dem Rumpeln und Rattern von eisenbeschlagenen Rädern der Handkarren, die Bauersleute, Straßenhändler, Handwerker, Fuhrknechte und kräftig gebaute Sklaven mit dunkler Haut und Brandzeichen im Gesicht hinter sich herzogen. Und zu all dem Lärm gesellte sich das vielstimmige Glockengeläut der Pfarr- und Klosterkirchen in der Stadt und im Umland.
    Ihren Weidenkorb fest an sich gepresst, bahnte Fiora sich einen Weg durch die wogende Menge, die ständig ihre Richtung zu ändern schien, als wäre sie sich nicht schlüssig, wohin sie wirklich wollte. Da waren die vielen Arbeiter der mehr als zweihundert Woll- und Seidenmanufakturen, auf denen sich der Reichtum der Stadt und ihr Ruf als das unübertroffene Zentrum der feinen Tuchherstellung gründeten. All die Wollkrempier, Garnmacher, Wäscher, Färber, Walker, Tuchspanner, Bügler und wie sie alle hießen, trugen ihren Teil dazu bei, dass in einem langwierigen und aufwendigen Prozess aus schmutziger Wolle feinstes Florentiner Tuch wurde. Die Männer und Frauen waren in einfaches bigello gekleidet, in grobes, ungefärbtes Wolltuch von naturgrauer oder -brauner Farbe. Jeder strebte seiner bottega 2 zu, wo er in Lohn und Arbeit stand.
    Von besserer Qualität war die Kleidung der fattori, der Angestellten, die in den vielen Handelskontoren, Wechselstuben und Bankhäusern arbeiteten. Hier und da fiel das Auge auch auf einen schwarzen Priesterrock oder eine mit einem Strick gegürtete dunkle Kutte eines Ordensmannes, der seinen fast kahl geschorenen tonsurierten Kopf mit hochgeschlagener Kapuze vor dem frischen Wind schützte.
    In diesem Gemenge aus matten Farben fehlte es jedoch selbst zu dieser frühen Stunde nicht an bunten Tupfern. Dabei konnte es sich um die fremdländische Kleidung eines Kaufmanns
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