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Der Papalagi

Der Papalagi

Titel: Der Papalagi
Autoren: Erich Scheuermann
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Hütten, in denen jedes Kind seine eigene Truhe hat, jeder Diener des Papalagi, ja seine Hunde und Pferde.
    Zwischen diesen Truhen verbringt nun der Papalagi sein Leben. Er ist bald in dieser, bald in jener Truhe, je nach Tageszeit und Stunde. Hier wachsen seine Kinder auf, hier hoch über der Erde, oft höher wie eine ausgewachsene Palme – zwischen Steinen. Von Zeit zu Zeit verläßt der Papalagi seine Privattruhen, wie er sie nennt, um in eine andere Truhe zu steigen, die seinen Geschäften gilt, bei denen er ungestört sein will und keine Frauen und Kinder gebrauchen kann. Während dieser Zeit sind die Mädchen und Frauen im Kochhause und kochen oder machen Füßhäute blendend oder waschen Lendentücher. Wenn sie reich sind und sich Diener halten können, machen diese die Arbeit, und sie selber gehen auf Besuche oder neue Essensvorräte zu holen.
    Auf diese Weise leben in Europa so viele Menschen wie Palmen in Samoa wachsen, ja noch viel mehr. Einige haben wohl viel Sehnsucht nach Wald und Sonne und viel Licht; aber dies wird allgemein als eine Krankheit angesehen, die man in sich niederkämpfen muß. Ist jemand mit diesem Steinleben nicht zufrieden, so sagt man wohl: er ist ein unnatürlicher Mensch; was so viel heißen soll: er weiß nicht, was Gott für den Menschen bestimmt hat.
    Diese Steintruhen stehen nun jeweils in großer Zahl dicht beieinander, kein Baum, kein Strauch trennt sie, sie stehen wie Menschen Schulter an Schulter, und in jeder wohnen soviele Papalagi wie in einem ganzen Samoadorfe. Ein Steinwurf weit, auf der anderen Seite, ist eine gleiche Reihe Steintruhen, auch wieder Schulter an Schulter und auch in diesen wohnen Menschen. So ist zwischen beiden Reihen nur ein schmaler Spalt, welchen der Papalagi die »Straße« nennt. Diese Spalte ist oft so lang wie ein Fluß und mit harten Steinen bedeckt. Man muß lange laufen, bis man eine freiere Stelle findet; doch hier münden wieder Häuserspalten. Auch diese sind wieder lang wie große Süßwasserflüsse, und ihre Seitenöffnungen sind wieder Steinspalten von gleicher Länge. So kann man wohl tagelang zwischen diesen Spalten umherirren, bis man wieder einen Wald oder ein großes Stück Himmelsblau findet. Zwischen den Spalten sieht man nur selten eine rechte Himmelsfarbe, denn, weil in jeder Hütte zumindest eine, oft sehr viele Feuerstätten sind, ist die Luft fast stetig voll viel Rauch und Asche, wie bei einem Ausbruch des großen Kraters in Savaii. Sie regnet in die Spalten herab, so daß die hohen Steintruhen aussehen wie der Schlick der Mangrovesümpfe und die Menschen schwarze Erde in ihre Augen und Haare bekommen und harten Sand zwischen ihre Zähne.
    Aber dies alles hindert die Menschen nicht, in diesen Spalten herumzulaufen vom Morgen bis zum Abend. Ja, es gibt viele, die eine besondere Lust daran haben. Besonders in einigen Spalten ist ein Gewirre, und die Menschen fließen darin wie ein dicker Schlick. Dies sind die Straßen, wo riesenhafte Glaskästen eingebaut sind, in denen alle die Dinge ausgebreitet liegen, die ein Papalagi zum Leben braucht: Lendentücher, Kopfschmuck, Hand- und Fußhäute, Essensvorräte, Fleisch und wirkliche Nahrung wie Früchte und Gemüse und viele andere Dinge mehr. Sie liegen hier offen, um die Menschen anzulocken. Niemand darf aber etwas an sich nehmen, wenn er es auch noch so nötig hat, er muß dazu erst eine besondere Erlaubnis und ein Opfer dafür gebracht haben.
    In diesen Spalten droht von allen Seiten viel Gefahr, denn die Menschen laufen nicht nur durcheinander, sie fahren und reiten auch kreuz und quer oder lassen sich in großen gläsernen Truhen, die auf metallenen Bändern gleiten, davontragen. Der Lärm ist groß. Deine Ohren sind betäubt, denn die Pferde schlagen mit ihren Hufen auf die Steine des Bodens, die Menschen schlagen mit ihren harten Fußhäuten darauf. Kinder schreien, Männer schreien, vor Freude oder vor Entsetzen, alle schreien. Du kannst dich auch nicht anders verständigen als durch Schreien. Es ist ein allgemeines Sausen, Rasseln, Stampfen, Dröhnen, als ob du an der Steilbrandung von Savaii ständest, an einem Tage, da höchster Sturm tost. Und doch ist dieses Tosen noch lieblicher und nimmt dir nicht so deine Sinne wie das Tosen zwischen den Steinspalten.
    Dies alles zusammen nun: die steinernen Truhen mit den vielen Menschen, die hohen Steinspalten, die hin- und herziehen wie tausend Flüsse, die Menschen darin, das Lärmen und Tosen, der schwarze Sand und Rauch
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