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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt
Autoren: Philip Kerr
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seinem Agenten Bazna (Deckname Cicero) beschafften Dokumente geprüft hatten, Ribbentrop als Einziger deren Echtheit bezweifelte.
    Selbst Kaltenbrunner, Chef des Sicherheitsdiensts und Schellenbergs Vorgesetzter, war von der Authentizität dieser Informationen überzeugt gewesen. Um eine Lanze für Ciceros Material zu brechen, sagte Moyzisch, Kaltenbrunner persönlich halte die Dokumente inzwischen für höchstwahrscheinlich echt.
    »Kaltenbrunner ist doch krank, oder?« Wie wenig Ribbentrop vom Chef des SD hielt, war im Außenministerium wohl bekannt.
    »Phlebitis, wie ich hörte. Zweifellos ist sein Verstand, soweit er einen solchen besitzt, durch seine Krankheit erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem kennt niemand – und schon gar nicht so ein versoffener, sadistischer Trottel – die Briten besser als ich. In meiner Zeit als deutscher Botschafter am Hof von St. James habe ich etliche recht gut kennen gelernt, und ich sage Ihnen, das ist ein Trick, den sich die englischen Spymasters ausgedacht haben. Gezielte Falschinformation, um unsere Nachrichtendienste von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten.«
    Er kniff eines seiner wässrig blauen Augen halb zu, fixierte seinen Untergebenen.
    Ludwig Moyzisch nickte – wie er hoffte, gebührend unterwürfig. Als Mann des SD in Ankara war er Brigadeführer Schellenberg unterstellt, aber seine Situation wurde dadurch kompliziert, dass er als deutscher Handelsattaché in der Türkei gleichzeitig Ribbentrop unterstand. Deshalb musste er jetzt Ciceros Arbeit gegenüber dem SD und dem Reichsaußen-25

    minister verteidigen. Das hätte jeden nervös gemacht, da Ribbentrop nicht minder rachsüchtig war als Ernst Kaltenbrunner. Ribbentrop mochte zwar schwach und affektiert wirken, aber Moyzisch wusste, es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Die Zeiten diplomatischer Triumphe lagen zwar hinter ihm, aber Ribbentrop war immer noch SS-Standartenführer und ein Freund von Himmler.
    »Jawohl, Herr Minister«, sagte Moyzisch. »Ihre Zweifel sind sicher begründet, Herr Minister.«
    »Dann sind wir ja jetzt wohl fertig.« Ribbentrop erhob sich abrupt.
    Moyzisch sprang ebenfalls auf, stieß aber in seiner Hast, der Gegenwart des Reichsministers zu entkommen, den Stuhl um.
    »Entschuldigen Sie, Herr Reichsminister«, sagte er und hob ihn wieder auf.
    »Bemühen Sie sich nicht.« Ribbentrop wies mit einer Handbewegung auf die tropfende Zimmerdecke. »Wie Sie sehen, haben wir den letzten Besuch der britischen Luftwaffe noch nicht verwunden. Das oberste Stockwerk des Ministeriums fehlt, wie auch etliche Fensterscheiben auf dieser Etage. Und natürlich gibt es auch keine Heizung, aber wir bleiben dennoch lieber in Berlin, als uns in Rastenburg oder Berchtesgaden zu verkriechen.«
    Ribbentrop begleitete Linkus und Moyzisch zur Tür seines Büros. Zu Moyzischs Erstaunen wirkte der Reichminister jetzt ganz höflich, fast als wollte er etwas von ihm. Ja, er hatte jetzt sogar ein leises Lächeln aufgesetzt.
    »Darf ich fragen, was Sie Brigadeführer Schellenberg über diese Unterredung berichten werden?« Eine Hand in der Tasche seines Savile-Row-Anzugs, klimperte er nervös mit einem Schlüsselbund.
    »Ich werde ihm berichten, was der Herr Reichsminister mir selbst erklärt haben«, sagte Moyzisch. »Dass es sich um gezielte 26

    Falschinformation handelt. Um einen primitiven Trick des britischen Geheimdienstes.«
    »Sehr richtig«, sagte Ribbentrop, als stimmte er einer Meinung zu, die Moyzisch von sich aus geäußert hatte. »Sagen Sie Schellenberg, er verschwendet sein Geld. Auf diese Information hin zu handeln, wäre reine Idiotie. Meinen Sie nicht?«
    »Ganz zweifellos, Herr Reichminister.«
    »Kommen Sie gut in die Türkei zurück, Herr Moyzisch.« Und zu Linkus sagte er: »Bringen Sie Herrn Moyzisch hinaus, und lassen Sie dann Fritz am Haupteingang vorfahren. Wir müssen in fünf Minuten zum Bahnhof.«
    Ribbentrop schloss die Tür und ging wieder zu dem Biedermeiertisch, wo er die Cicero-Fotos an sich nahm und sorgsam in seiner Sattelledermappe verstaute. Er war überzeugt, dass Moyzisch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Recht hatte, was die Echtheit der Dokumente anbelangte. Aber er hatte nicht die Absicht, das Schellenberg gegenüber in irgendeiner Form zu äußern, nur damit der SS-Brigadeführer diese wichtige, neue Information zum Anlass für irgendein idiotisches Husarenstück nahm. Das Letzte, was er wollte, war eine neue »Sondermission« des SD, so wie
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