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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt
Autoren: Philip Kerr
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wollte.
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    Dazu gehörten der Vorschlag, sämtliche britischen Flieger, die bei Bombenangriffen gefangen genommen wurden, der örtlichen Bevölkerung zur Selbstjustiz zu überlassen, und die Sache mit den Dokumenten-Fotos, die SD-Agent Cicero geliefert hatte.
    Zum Erstaunen des Reichsministers war unter den anstehenden Themen jedoch auch die Deportation von Juden aus Norwegen, Italien und Ungarn aufgeführt. Ribbentrop las diesen letzten Punkt noch einmal, warf dann die Liste auf den Tisch und fragte mit zornrotem Gesicht: »Wer hat das getippt?«
    »Fräulein Mundt«, sagte Schmidt. »Stimmt etwas nicht, Herr Reichsminister?«
    Ribbentrop machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in den nächsten Wagen, wo mehrere Stenotypistinnen beim Anblick des Ministers unverzüglich zu tippen aufhörten und respektvoll aufstanden. Er ging zu Fräulein Mundt, durchsuchte ihren Ausgangskorb, entnahm ihm wortlos den Durchschlag von Schmidts Liste und ging dann wieder in seinen Salonwagen zurück. Dort legte er den Durchschlag auf den Tisch und wandte sich, die Hände in die Taschen seines Uniformrocks gestemmt, ungehalten an Schmidt.
    »Nur weil Sie verdammt noch mal zu faul sind, sich an das zu halten, was ich sage, gefährden Sie unser aller Leben«, schnauzte er. »Indem Sie konkrete Einzelheiten dieser Moellhausen-Sache zu Papier bringen – noch dazu in einem offiziellen Dokument –, wiederholen Sie ebenjenen Weisungsverstoß, für den er aufs Strengste zu tadeln ist.«
    Eitel von Moellhausen war Konsul in Rom und hatte in der Vorwoche ein Kabel nach Berlin geschickt, in dem er das Außenministerium darauf hinwies, dass der SD beabsichtige, 8800 italienische Juden »zur Liquidierung« in das österreichische Konzentrationslager Mauthausen zu deportieren.
    Das hatte einige Irritation hervorgerufen, denn Ribbentrop hatte strikte Weisung erteilt, dass Wörter wie »Liquidierung« nie und nimmer in schriftlichen Unterlagen des Außenministeriums 30

    auftauchen durften, für den Fall, dass diese Dokumente den Alliierten in die Hände fielen.
    »Angenommen, dieser Zug würde von britischen Kommandotrupps gekapert«, brüllte er. »Dann würde uns Ihre idiotische Liste ebenso sicher ans Messer liefern wie Moellhausens Kabel. Ich sagte es bereits, aber offenbar muss ich es noch einmal sagen. ›Evakuierung‹, ›Umsiedlung‹,
    ›Wohnsitzverlegung‹, das sind die Wörter, die in allen Dokumenten des Außenministeriums bezüglich der Lösung der europäischen Judenfrage zu benutzen sind. Dem Nächsten, der das vergisst, wird es ergehen wie Luther.« Ribbentrop ergriff das inkriminierende Schreiben samt Durchschlag und warf es Schmidt hin. »Vernichten Sie das. Und lassen Sie Fräulein Mundt diese Liste unverzüglich noch einmal tippen.«
    »Wird sofort erledigt, Herr Reichsminister.«
    Ribbentrop goss sich ein Glas Fachinger ein und wartete ungeduldig, dass Schmidt mit dem neu getippten Papier zurückkam. Da klopfte es an der anderen Tür des Waggons. Ein Ministeriumsbeamter öffnete sie und ließ einen kleinen, unscheinbaren SS-Obersturmbannführer herein, der seinem obersten Vorgesetzten nicht unähnlich war, denn es handelte sich um Dr. Rudolf Brandt, Himmlers persönlichen Referenten und einen der fleißigsten Männer im Umfeld des Reichsführers-SS. Brandt knallte die Hacken zusammen und verbeugte sich steif vor Ribbentrop, der ihn gewinnend anlächelte.
    »Schönen Gruß vom Reichsführer, Herr Standartenführer«, sagte Brandt. »Er lässt fragen, ob Sie Zeit haben, in seinen Wagen zu kommen.«
    Schmidt kam mit der neuen Aufstellung zurück. Ribbentrop nahm sie wortlos entgegen und folgte dann Brandt durch die Ziehharmonika zwischen den beiden Wagen.
    Himmlers Salonwagen hatte eine Täfelung aus poliertem Holz.
    Auf einem Tischchen am Fenster stand eine Messinglampe. Die 31

    Sessel waren mit grünem Leder bezogen, passend zum dicken Plüschboden. Es gab auch ein Grammophon und ein Radio, obwohl Himmler für derlei Zerstreuungen kaum Zeit hatte.
    Dennoch war der Reichsführer-SS keineswegs der mönchische Asket, den er nach außen hin verkörperte. Ribbentrop, der ihn gut kannte, fand, dass Himmler zu Unrecht als eiskalt und skrupellos galt: Gegenüber Leuten, die ihm gute Dienste leisteten, konnte er überaus großzügig sein. Tatsächlich entbehrte Heinrich Himmler durchaus nicht eines gewissen Charmes. Er verstand es, lebhaft Konversation zu machen, und was er sagte, war meistens mit einer Prise Humor gewürzt.
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