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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt
Autoren: Philip Kerr
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Exilregierung, und erstellt mit Hilfe der polnischen Exilarmee, war der, der mich am längsten aufhielt. Er war lebendig geschrieben und schilderte anschaulich, wie Offiziere und Leute vom sowjetischen NKWD viereinhalbtausend Männer ermordeten – per Genickschuss, nachdem sie ihnen zum Teil die Hände gefesselt oder statt eines Knebels Sägemehl in den Mund gestopft hatten –, ehe sie sie in einem Massengrab verscharrten.
    Als ich kurz nach Mitternacht mit der Lektüre des Berichts fertig war, musste ich mich O’Malleys Behauptung anschließen, dass ohne den leisesten Zweifel die Sowjets die Schuldigen waren. O’Malleys Warnung an Winston Churchill, dass der Massenmord von Katyn »einen anhaltenden Nachhall auf der moralischen Ebene« haben würde, schien noch untertrieben.
    Doch nach meinem Gespräch mit Roosevelt konnte ich mir ausrechnen, dass jeder Schluss, zu dem ich durch meine eigenen Untersuchungen käme, hinter dem Umstand zurücktreten 22

    musste, dass der Präsident herzlichere Beziehungen zu dem Mörder und Polenhasser Josef Stalin wünschte.
    Jeder Bericht, den ich über das Massaker erstellen wurde, konnte nicht mehr sein als ein Mittel für Roosevelt, sich abzusichern. Ich hätte den Auftrag vielleicht sogar als langweilige Bürde betrachtet, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass ich es geschafft hatte, mir in seinem Rahmen eine kleine London-Reise zu organisieren. London war eine tolle Stadt, und nach monatelanger Untätigkeit in einem der vier Backsteingebäude des »Campus« – wie der lokale Spitzname des OSS und seines vorwiegend akademischen Personals lautete – gierte ich nach etwas Aufregenderem. Eine Woche London war wohl genau das, was mir der Arzt verschrieben hätte, zumal jetzt auch noch Diana darauf herumzuhacken begann, dass ich mich immer aus der Schusslinie hielt.
    Ich stand auf und ging ans Fenster. Während ich auf die Straße hinaussah, versuchte ich mir all die ermordeten polnischen Offiziere in einem Massengrab bei Smolensk vorzustellen. Ich trank meinen Whisky aus. Im Mondschein hatte der Rasen vor meinem Haus die Farbe von Blut und der unruhige, silberne Himmel etwas Gespenstisches, ganz so als ob der Tod selbst sein riesiges Auge auf mich geworfen hätte. Nicht dass es eine große Rolle spielte, wer einen tötete. Die Deutschen oder die Russen, die Briten oder die Amerikaner, die eigenen Leute oder der Feind. Wenn man tot war, war man tot, und nichts, auch kein Präsidentenauftrag, konnte daran etwas ändern. Aber ich gehörte zu den Glückspilzen, und oben rief mich der Akt des Lebens schlechthin.
    Ich knipste das Licht aus und ging zu Diana.
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    MITTWOCH, 3. OKTOBER 1943
    –––––––––––––
    BERLIN
    DER DEUTSCHE AUSSENMINISTER Joachim von
    Ribbentrop erhob sich, ging um den riesigen Schreibtisch mit der Marmorplatte herum und quer durch den Raum zu den beiden Männern, die auf einer grün-weiß gestreiften Biedermeier-Salongarnitur saßen. Auf dem Tisch vor ihnen lag ein Stapel Fotos, allesamt zeitschriftengroß und allesamt Faksimiles eines Dokuments, das heimlich aus dem Safe des britischen Botschafters in Ankara, Sir Hughe Knatchbull-Hugessen, entwendet worden war. Ribbentrop setzte sich, ignorierte so gut wie möglich den Regenwasser-Stalaktiten an dem Maria-Theresia-Kronleuchter, von dem es laut in einen Blecheimer tropfte, und studierte mit der Miene müder Verachtung zuerst die Fotos und dann den etwas zwielichtig wirkenden Mann, der sie nach Berlin gebracht hatte.
    »Klingt alles zu schön, um wahr zu sein«, sagte er.
    »Das wäre natürlich möglich, Herr Reichsminister.«
    »Leute werden nicht plötzlich ohne triftigen Grund zu Spionen, Herr Moyzisch«, sagte Ribbentrop. »Und schon gar nicht die Kammerdiener englischer Gentlemen.«
    »Bazna wollte Geld.«
    »Und das hat er ja offenbar auch bekommen. Wie viel, sagten Sie, hat ihm Schellenberg gegeben?«
    »Zwanzigtausend Pfund bis jetzt.«
    Ribbentrop warf die Fotos wieder auf den Tisch, wobei eines zu Boden fiel. Rudolf Linkus, Ribbentrops engster Mitarbeiter im Außenministerium, hob es auf.
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    »Und wer hat ihm beigebracht, so meisterhaft mit der Kamera umzugehen?«, fragte Ribbentrop. »Die Briten? Sind Sie schon mal auf die Idee gekommen, dass es sich hierbei um gezielte Falschinformation handeln könnte?«
    Ludwig Moyzisch hielt dem kalten Blick des Außenministers stand. Er wünschte sich nach Ankara zurück und fragte sich, warum nach all den Leuten, die diese von
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