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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt
Autoren: Philip Kerr
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Stapeln vergilbten Papiers und dem vollen Schreibtisch dem schäbigen, kleinen Dozentenzimmer ähnelte, das ich einst in Princeton gehabt hatte.
    »Mr. President, das ist Professor Mayer«, sagte sie. Dann ging sie und schloss die Tür hinter sich.
    Der Präsident saß, ein Rührglas in der Hand, im Rollstuhl vor einem kleinen Tischchen, auf dem mehrere Spirituosenflaschen standen. Er lauschte der Symphony Hour auf Radio WINX.
    »Ich mixe gerade Martinis«, sagte er. »Ich hoffe, Sie trinken mit. Die Leute sagen immer, meine Martinis seien zu kalt, aber so mag ich sie nun mal. Ich kann lauwarmen Alkohol nicht ausstehen. Das scheint mir doch dem ganzen Sinn und Zweck des Trinkens zu widersprechen.«

    7

    »Ein Martini wäre mir sehr recht, Mr. President.«
    »Gut, gut. Kommen Sie rein und setzen Sie sich.« Franklin D.
    Roosevelt deutete mit dem Kinn auf das Sofa jenseits des Tischchens. Er stellte das Radio ab und goss uns Martinis ein.
    »Hier.« Er hielt ein Glas hoch und ich ging um den Tisch herum, um es entgegenzunehmen. »Nehmen Sie das Rührglas auch mit, für den Fall, dass wir Nachschub brauchen.«
    »Ja, Sir.« Ich nahm das Rührglas und ging wieder zum Sofa.
    Roosevelt schwenkte den Rollstuhl vom Bartisch weg und rollte zu mir herüber. Es war ein improvisierter Rollstuhl, keines der Modelle, wie man sie in einem Krankenhaus oder Altersheim findet, sondern eher wie ein Küchenstuhl mit abgesägten Beinen, so als ob es dem Konstrukteur darum gegangen wäre, den wahren Zweck des Möbels vor dem amerikanischen Wahlvolk zu verbergen, weil dieses sich womöglich gesträubt hätte, einen Krüppel zu wählen.
    »Sie wirken, wenn ich das sagen darf, recht jung für einen Professor.«
    »Ich bin fünfunddreißig. Außerdem war ich nur außerordentlicher Professor, als ich von Princeton wegging. Das ist etwa so, wie wenn man sagt, man sei Vize-Präsident eines Unternehmens.«
    »Fünfunddreißig, ja, das ist wohl nicht mehr so jung. Nicht heutzutage. Bei der Armee würden Sie als alter Mann gelten.
    Dort sind die meisten noch halbe Kinder. Manchmal bricht es mir schier das Herz, wenn ich sehe, wie jung unsere Soldaten sind.« Er erhob das Glas zu einem stummen Toast.
    Ich erwiderte die Geste und kostete dann meinen Martini. Für meinen Geschmack war viel zu viel Gin drin. Das Zeug war nur dann nicht zu kalt, wenn man gern Flüssigwasserstoff trank.
    Aber schließlich mixte einem ja nicht jeden Tag der Präsident der Vereinigten Staaten einen Cocktail, also trank ich das Zeug mit allen gebührenden Zeichen des Genusses.

    8

    Beim Trinken registrierte ich die Details an Roosevelt, die nur aus nächster Nähe erkennbar waren: den Kneifer, den ich immer für eine Brille gehalten hatte, die vergleichsweise kleinen Ohren – aber vielleicht war ja auch einfach sein Kopf zu groß geraten –, den fehlenden Zahn im Unterkiefer, die Tatsache, dass die Metallschienen an seinen Beinen schwarz angemalt waren, damit sie auf der Hose möglichst wenig auffielen, die schwarzen Schuhe mit den verräterisch makellosen Ledersohlen, die Fliege, die abgetragene Hausjacke mit den Lederflicken auf den Ellbogen und die Gasmaske, die seitlich am Rollstuhl baumelte. Ich bemerkte einen schwarzen Scotch-Terrier, der vor dem Kamin lag und eher wie ein kleiner flauschiger Teppich aussah. Der Präsident beobachtete, wie ich langsam meinen Flüssigwasserstoff trank, und ein leises Lächeln spielte um seine Lippen.
    »Sie sind also Philosoph«, sagte er. »Ich kann nicht behaupten, dass ich viel von Philosophie verstünde.«
    »Die traditionellen Dispute der Philosophen sind zum größten Teil ebenso unsinnig wie unfruchtbar.« Es klang hochtrabend, aber das bringt dieses Gebiet nun mal mit sich.
    »Das klingt, als hätten Philosophen eine Menge mit Politikern gemein.«
    »Nur dass Philosophen niemandem verantwortlich sind. Außer der Logik. Wenn Philosophen Wähler für sich gewinnen müssten, wären wir bald alle arbeitslos, Sir. Wir sind vor allem für uns selbst interessant, viel mehr als für andere Menschen.«
    »Aber nicht in diesem konkreten Fall«, bemerkte der Präsident.
    »Sonst wären Sie jetzt nicht hier.«
    »Es gibt da nicht viel zu erzählen, Sir.«
    »Aber Sie sind doch ein berühmter amerikanischer Philosoph?«

    9

    »Ein amerikanischer Philosoph, das ist etwa so, als ob man sagt, man spiele für Kanada Baseball.«
    »Und Ihre Familie? Ist Ihre Mutter nicht eine geborene von Dorff? Von den Cleveland-von Dorffs?«
    »Doch, Sir.
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