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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis
Autoren: Andreas Eschbach
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Landplage.«
    An diesem Freitagnachmittag besuchte ich noch Lena. Ich kam gegen drei Uhr bei der Adresse an, die auf dem Paket gestanden hatte, fand eine Klingel mit dem Namen Novitzky, doch niemand öffnete. Der Hinweis ihrer ehemaligen Freundin fiel mir wieder ein, dass Lena vor vier Uhr meistens mit ihrem Sohn unterwegs sei. Aber an einem Tag wie heute? Es war kalt und windig, Schnee lag in der Luft, und dunkel war es auch schon wieder. Ich trat eine Weile unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, dann beschloss ich, dass es keinen Sinn hatte, zu warten, und ging wieder.
    Ich sah sie, als ich um die nächste Ecke bog. Wie eben der Zufall so spielt. Sie kam aus der Richtung der Bushaltestelle und schob einen Buggy vor sich her, während ihr Sohn, anstatt sich schieben zu lassen, begeistert einen Schneematschhaufen nach dem anderen zertrat. Sie sah ihm dabei mit einem sanften Lächeln zu, das vor Glück förmlich leuchtete.
    »Na? Komm«, gurrte sie, als der Kleine vor einer blinkenden Schaufensterreklame verharrte. »Komm, Sven, wir gehen nach Hause …«
    »Nein!«, krähte er, setzte sich jedoch gehorsam in Bewegung. Mit trippelnden Schritten holte er den Buggy ein und machte Anstalten, in den Sitz zu klettern. Genug getobt.
    Lena half ihm hinein, befestigte den Gurt, und in dem Moment, in dem sie sich wieder aufrichtete und den Weg fortsetzen wollte, sah sie mich keine zehn Meter entfernt stehen.
    »Gunnar?«, sagte sie mit weit aufgerissenen Augen.
    »Hallo, Lena«, erwiderte ich und nahm die Hände aus den Taschen. »Ich wollte mich bloß für das Paket bedanken.« Ich hatte noch mehr sagen wollen. Ich hatte mich entschuldigen wollen für so viele Dinge, die ich in der Zeit, in der wir zusammen gewesen waren, gesagt oder getan hatte. Für die vielen Male, an denen ich sie betrogen, allein gelassen, ruppig behandelt, ihre ruhige Freundlichkeit ausgenutzt hatte …
    Aber es wollte mir nicht über die Lippen. Die Vergangenheit war vergangen. Trotz aller verlegenen Überraschung, mich wie aus dem Nichts vor sich zu sehen, strahlte Lena eine Zufriedenheit und ein Glück aus, das ich so an ihr nie gesehen hatte. Wozu die alten Geschichten noch einmal aufrühren?
    »Na ja«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Wie gesagt, ich hatte es versprochen und … ach, so viel Mühe war es nicht.«
    »Trotzdem danke.«
    »Bitte.« Ein verlegener Moment, den ihr Sohn mit einem zornigen Schrei durchbrach. Er begann, den Oberkörper vor-und zurückzuschaukeln, als hoffe er, dadurch den Buggy in Bewegung zu setzen.
    »Das ist dann also wohl Sven«, sagte ich. Was man eben so sagt.
    Sven hielt inne, als er mich seinen Namen sagen hörte.
    »Ja«, nickte Lena. »Das ist er.« Sie strich ihm über den Kopf, rückte die Mütze zurecht. »Es geht ihm wieder besser, Gott sei Dank.« Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie fort: »Er hat eine Stoffwechselstörung, die früher zu Behinderungen geführt hätte, weißt du? Aber zum Glück gibt es jetzt etwas dagegen, und der Arzt sagt, er wird es schaffen. Ich bin so froh.«
    »Ja«, sagte ich. »Das glaube ich.«
    Der Korb unter dem Sitz des Buggy war voller Spielsachen, Ersatzkleidung und Reservewindeln. Mittendrin erspähte ich eine dickhalsige weiße Flasche mit einem Signet auf dem Verschluss, das ich inzwischen aus jeder Perspektive erkannt hätte: das Logo von Rütlipharm.
    »Du siehst besser aus«, sagte Lena und lächelte verlegen.
    »Irgendwie.«
    »Ich bin bloß älter geworden«, erwiderte ich.
    »Nein, es ist irgendwie …« Sie suchte nach Worten. »Als seien früher schwarze Wolken um deinen Kopf gewesen, und jetzt sind sie verschwunden.«
    Ich sah sie an und war einen Moment sprachlos. »Du …«, begann ich schließlich und musste mich räuspern, »du siehst großartig aus. Wirklich. Es scheint dir gut zu bekommen, das alles … du weißt schon …«
    Sie lächelte, nickte. Sven fing wieder an zu quengeln. »Ja«, sagte sie.
    »Wie gesagt«, plapperte ich mit einer fahrigen Handbewegung weiter, »ich wollte mich wirklich einfach nur bedanken und … na ja …« Und dann sagte ich es doch. »Mir tut vieles Leid, was ich damals getan habe. Ich war oft … nicht freundlich.« Ich spürte, wie mir unter der Jacke der Schweiß ausbrach. Obwohl es selbst für einen ersten Versuch mickrig war.
    Sie lächelte nachsichtig. »Ja, das warst du wirklich.«
    »Heim, heim, heim«, quäkte der Junge und bäumte sich verärgert auf.
    »Du hörst es«, sagte Lena. »Wir
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