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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis
Autoren: Andreas Eschbach
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fragte sie. »Was machen Sie denn hier …?«
    Dann entdeckte sie mich, und offenbar reichte das wenige Licht aus, mich zu erkennen. »Onkel Gunnar? Wo kommst du denn her? Bist du aus dem Gefängnis ausgebrochen?«
    Ich musste unwillkürlich lachen. »Kann man fast so sagen«, gab ich zurück.

KAPITEL 51
    »Kommt doch rein«, sagte sie, in genau dem Tonfall, in dem es Inga gesagt hätte. Ich war erschüttert, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelte.
    Sie sammelte noch rasch die herumliegenden Scheite in einen Korb, dann ging sie voran ins Haus. Es war warm und hell erleuchtet und roch behaglich nach Weihnachtsgewürzen. Einen herrlichen Sekundenbruchteil lang kam es mir vor, als machte ich eine Zeitreise, als könnte all das, was seit jenem Sommer in dem Haus am Storuttern-See passiert war, nun ungeschehen gemacht werden.
    Kristina stellte den groben Flechtkorb mit dem Brennholz ab und knöpfte ihre Jacke auf. In der Tür zum Wohnzimmer kam eine gebückt gehende alte Frau mit kurzen weißen Haaren zum Vorschein, die bei unserem Anblick das ansonsten bemerkenswert glatte Gesicht in äußerst skeptische Falten legte.
    »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Das ist meine Klassenlehrerin, farmor « , sagte Kristina, auf Birgitta zeigend. Dann deutete sie auf mich und lächelte. »Und das ist mein morbror Gunnar.«
    Der Ausdruck der Missbilligung verschwand aus dem Gesicht der Alten wie weggewischt. »Tatsächlich? Ja, so eine Freude! Kommen Sie, kommen Sie. Ich wusste gar nicht, dass du einen Onkel hast.« Sie griff nach Kristinas Arm. »Das ist nämlich meine Enkelin, müssen Sie wissen. Sie heißt … ähm …«
    Sie hielt inne und grübelte.
    »Kristina«, sagte die Tochter meiner Schwester geduldig. Die Art, wie sie es sagte, ließ erkennen, dass sie es schon tausend Mal gesagt hatte und dass sie es noch viele tausend Male sagen würde.
    »Ja, genau«, freute sich ihre Großmutter. »Kristina. So ein liebes Mädchen.« Sie blinzelte, musterte mich nachdenklich.
    »Und wer sind Sie?«
    »Gunnar«, erwiderte ich. »Der Onkel.«
    »Ach, der Onkel. Schau an. Schön, dass ich Sie mal kennen lerne.«
    »Komm, Oma«, sagte Kristina und schob die alte Frau sanft vor sich her. »Wir gehen ins Wohnzimmer, und ich mache uns einen Tee.«
    Kurz darauf saßen wir bei Tee und Keksen um den Tisch.
    »Selbst gebacken«, erklärte Kristina teils stolz, teils entschuldigend, denn die Kekse waren stellenweise angebrannt. Einen Augenblick lang war es einfach nur ein gemütliches, heimeliges Familientreffen mit einer dementen, aber freudestrahlenden Großmutter. »Ach, wenn jetzt mein Hans-Olof hier wäre!«, seufzte sie selig, ohne zu ahnen, dass sie die Stimmung auf keine Weise wirkungsvoller hätte zerstören können.
    Kristina sah betreten auf ihre Tasse hinunter. »Ich nehme an, ihr wollt wissen, warum ich weggelaufen bin?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das wissen wir.«
    »Alles?«
    »Alles.«
    »Puh«, machte sie. Ihr Blick wanderte die Maserungen der Tischplatte ab. »Ich gehe jedenfalls nicht zurück. Das gäbe bloß irgendwann ein Unglück. Und ich will Papa auch nicht anzeigen oder so einen Scheiß. Ich weiß, er ist nur so, weil er Mamas Tod nicht verkraftet hat. Er nimmt auch dauernd Tabletten, schon seit Jahren …«
    »Die Frage ist nicht, ob du zurückmusst«, sagte ich, »sondern ob das hier die richtige Lösung ist.«
    »Klar«, erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen, »auf die Weise kann ich gleich verhindern, dass Oma ins Heim muss.«
    »Ins Heim?«, protestierte die alte Frau empört. »Ich geh doch in kein Heim. Wer kümmert sich denn dann um das Haus?«
    Ich wechselte einen Blick mit Birgitta, die ratlos mit den Schultern zuckte. »Ich weiß nicht, Kristina«, murmelte sie, »du bist immerhin erst vierzehn …«
    »Na und? In dem Alter hat sich meine Mutter auch schon alleine durchgeschlagen.«
    »A propos durchschlagen«, hakte ich ein, »wovon schlägst du dich denn hier durch?«
    Meine Nichte setzte eine höchst unschuldige Miene auf.
    »Och, das ist kein Problem, Oma kriegt ganz schön viel Rente. Wenn man beim Einkaufen ein bisschen auf die Preise achtet und ein paar Sachen selber macht, reicht das locker für zwei.«
    Sie biss demonstrativ in einen besonders dunkel geratenen Keks.
    »Aber das Geld bekommt deine Großmutter doch nicht mehr direkt ausbezahlt.«
    »Seit ich mit denen vom Pflegedienst gesprochen habe, schon.«
    Ich wollte etwas erwidern, als Birgitta mir die Hand auf den Arm legte und
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