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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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ändern würde. Und ob das dann ein Anzeichen dafür wäre, daß er tatsächlich erwachsen war.
      »Möchtest du einen Kaffee, Dad?«
      Die Times, Leos Schutzschild für den Frühstückstisch, raschelte ein wenig. Er gab einen unverbindlichen Laut zwischen einem Grunzen und einem Murmeln von sich.
      »Was glaubst du, was er meint?«
      »Ich glaube, er meint...« und Rosa ahmte den Laut perfekt nach. Sie und Guy prusteten los. Kathy lächelte ein wenig unsicher. Durch Beobachtung der anderen hatte sie gelernt, daß es in Ordnung war, sich über Dad lustig zu machen, aber sie hatte nicht den Mut, es ihnen gleichzutun. Die Times bewegte sich, war bereit zu sprechen. Guy flüsterte: »Ruf das Orakel an.« Rosa schüttelte den Kopf. Beide wandten sich ihrem Kaffee zu.
      Leo sagte: »Ich wünschte, du würdest ein Müsli finden, das nicht losspritzt, sobald man Flüssigkeit darübergießt.«
      »Wir haben uns überall danach erkundigt, oh du Allmächtiger!« Pause. Keine Antwort. »Boots and Sainsbury's. Fine Fare und Tesco's. Selbst in dem kleinen griechischen Laden auf der -«
      »Schon gut, Guy, schon gut. Iß dein Frühstück auf.«
      »Ich hab' schon zu Ende gefrühstückt.«
      »Schon? Normalerweise gibst du nicht so schnell auf. Du sitzt erst seit einer halben Stunde am Tisch. Ich hoffe, du bist nicht krank.« Leo senkte die Zeitung, und Rosa fragte sich zum hundertsten Mal, wie ein so freundlicher Mann dermaßen furchterregende Gesichtszüge haben konnte. Als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte sie an einen bösen Märchengeist denken müssen. Schwarze Brauen, die oberhalb des Nasenrückens fast zusammengewachsen waren, und dunkle, sehr dunkle Augen. Ein schön geformter Mund mit ein wenig herabgezogenen Mundwinkeln, die seinem Gesicht in Ruhepausen einen traurigen, fast säuerlichen Ausdruck verliehen. Doch jetzt lächelte er und wirkte sehr viel jünger als achtunddreißig.
      »Mom, muß ich wirklich zum Zahnarzt?«
      Guy sagte: »Mervyns Mutter hat ihm zum fünfzehnten Geburtstag ein Gebiß versprochen.«
      »Unsinn.« Leo faltete die Zeitung zusammen. »Geh und hol deinen Mantel. Und iß dein Ei auf, Kathy.«
      »Kann ich es nicht Madgewick geben?«
      »Er wird es nicht fressen, mein Schatz. Du kennst ihn doch. Er hat gestern schon ein Ei gehabt.« Rosa versuchte sich einzureden, daß die Appetitlosigkeit ihrer Jüngsten nur eine Phase war und sie sich nicht von der Tatsache beirren lassen sollte, daß diese Phase bereits seit zwei Jahren andauerte.
      »Im übrigen meint Madgewick, er hätte heute früh auf Huhn Appetit.«
      »Stimmt nicht.« Guy war schonungslos offen. »Katzen haben ein äußerst beschränktes Vokabular. Du mußt lernen, deine Fantasie zu zügeln.«
      »Warum haben Katzen kein falsches Gebiß? Sie putzen sich nie die Zähne. Warum müssen Katzen nicht zum Zahnarzt?« Kathy warf einen wütenden Blick auf Madgewicks Korb, der neben der Anrichte stand. Er öffnete ein Auge und blinzelte sie verschlafen und gleichgültig an.
      Guy hatte ihn eher tot als lebendig, mit gebrochenem Bein und Schwanz, in einem erbärmlichen Zustand vor einer Boutique (Madgewick's Damen- und Herrenmoden) in einer Mülltonne gefunden. Gerettet, gereinigt, gepflegt und unter großen Mühen zusammengeflickt, hatte Madgewick es ihm weniger mit Dankbarkeit als mit einem erstaunlichen Maß an Herablassung und Erhabenheit vergolten. Er hatte einen Schildpattfleck über dem linken Auge, ein weißes Ohr, einen schwarzweißgefleckten Körper, rötlich-gelbe Pfoten und einen gestreiften Schwanz. Von Natur dazu geschaffen, den Narren zu spielen, mimte er mit absoluter Überzeugung den König und schien sich nicht daran zu stören, daß man ihm eher mit Respekt und Bewunderung als mit liebevoller Zuneigung begegnete
      Leo erhob sich. »Da du mit Kathy zum Zahnarzt gehst, nehme ich Guy mit.«
      »Ach, Liebling, würdest du das tun?« Sie küßten sich flüchtig auf die Wange. Ein Tageskuß, dachte sie, und erinnerte sich an die intimen Küsse dieser Nacht. Fünfzehn Jahre kannte sie diese Küsse schon und immer noch verspürte sie Spuren dieser aufwühlenden Erregung, der sie ausgeliefert gewesen war, als sie vor dem Krankenhaus von Middlesex auf ihn gewartet hatte.
      Als Medizinalassistent hatte er immer müde ausgesehen. Damals waren sie oft in die nächstgelegene Pizzeria gegangen, hatten sich das billigste Gericht bestellt und den Genuß so lange wie
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