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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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war, sich mit anderen Mitteln Gehör zu verschaffen. Man mußte nur clever sein. Psychologisch vorgehen. Berühmte Leute hatten gewisse Bedürfnisse, oder? Sie wollten bewundert werden, wollten hören, daß sie jung waren und von Tausenden geliebt wurden, warum hätten sie sich sonst die Mühe gemacht, berühmt zu werden? Und all das konnte er tun. Zumindest solange es nötig wäre, sich einzuschmeicheln. Hätte er einmal den Fuß im Geschäft, wäre das alles kein Problem mehr.
      Er stand auf und ging zu der Wand mit den Persönlichkeiten. Männlich oder weiblich? Auf beide Geschlechter wirkte er attraktiv.
      Männer hatten ebensooft wie Mädchen versucht, ihn aufzureißen. Ein älterer Mann wäre vielleicht keine schlechte Wahl, doch dürfte er keinen Sohn haben, was Parkinson von vornherein ausschloß - er hatte drei. Andererseits konnte man beim Fernsehen nicht wissen, welche Leute schwul waren. Im Unterschied zu Malern und Schriftstellern ließen sie sich nichts anmerken. An die wirklichen Spitzenleute würde man wohl schwerlich herankommen; andererseits würden die kleineren Fische nicht nur weniger Einfluß haben, sondern selbst noch auf dem Weg nach oben sein. Es war wichtig, so wichtig, alles richtig zu machen.
      Er ging zur anderen Seite des Zimmers. Aus dieser Perspektive schien die Frage der Auswahl überwältigend. Aus der Nähe betrachtet, erinnerte ihn jedes einzelne Viereck an seine eigene Erfolglosigkeit; schien ihn fast dafür tadeln zu wollen. Jetzt schienen sie ineinander zu verschwimmen, schien jedes Gesicht ebenso unwichtig wie das nächste. Er erkannte, daß es ihm unmöglich war, die richtige Wahl zu treffen. Keiner dieser Leute war ihm persönlich bekannt. Wie sollte er da einen gegen den anderen abwägen können? Ebensogut könnte er sich mit verbundenen Augen ein Bild herauspicken. Er erinnerte sich, daß seine Mutter allwöchentlich einen Lottoblock spielen durfte, und wie sie ihre Zahlenkombinationen jedesmal blind mit einer Stricknadel ermittelt hatte. Damals hatte er ihr Verhalten als unsinnig empfunden, doch jetzt erkannte er den Reiz der Sache: den Reiz darin, sich dem Schicksal auszuliefern. Und warum sollte es ihm nicht freundlich gesinnt sein? War er nicht endlich an der Reihe? Hatte er nicht lange genug gewartet? Und das Schönste daran war, daß er nicht verantwortlich wäre. Was immer auch geschehen mochte, niemand konnte mit dem Finger auf ihn zeigen und fragen: »Warum gerade ich?«
      Er zog das Messer aus seiner Tasche und ließ es aufschnappen. Plötzlich schien seine Hand verlängert. Eine zusätzliche, silbern glänzende Klaue war hervorgesprungen, funkelte im Licht. Er liebte das Gefühl des Messers in seiner Hand. Es war so anschmiegsam, immer warm und weich. Er kannte das genaue Gewicht des Messers, hätte es auf dem kleinen Finger balancieren können. Er nahm den Arm zurück, verlagerte das Gewicht auf sein hinteres Bein und verharrte einen Moment in dieser Stellung. Dann schloß er die Augen und warf das Messer.
     
    »Sehen wir uns heute die gefrorenen Teddies an? Bei Marks and Spencer's?«
      »Nein. Heute mußt du zum Zahnarzt.«
      »Dann morgen.«
      »Am Samstag. Am Samstag gehen wir zu Marks and Spencer's.«
      Kathy biß sich wütend auf die Unterlippe. Rosa beugte sich über das Durcheinander auf dem Frühstückstisch und berührte ihre Hand. »Bis dahin sind's nur noch drei Tage, mein Schatz.«
      Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie lang drei Tage sein konnten, wenn man sieben Jahre alt war.
      Kathys Bruder unterbrach für einen Moment sein Frühstück. Bis jetzt hatte er bereits Würstchen, Tomaten, ein Ei, etliche Toasts mit Marmelade, zwei Mandarinen, etwas Müsli und einen halben Liter Orangensaft verschlungen.
      »Kann ich etwas Kaffee haben, Mom?«
      »Ich wüßte nicht, was dagegen sprechen sollte. Du hast von allem anderen auf dem Frühstückstisch gekostet.«
      Er ging zur Kaffeemaschine. »Willst du noch eine Tasse?«
      »Gern.«
      Vorsichtig füllte er den Kaffee in große italienische Tonbecher. Durch das Kellerfenster fiel kaltes Sonnenlicht auf sein dichtes, blondes Haar. Für seine dreizehn Jahre war er ziemlich groß und dünn, und die Unmengen an Essen, die er verschlang, schienen irgendeinem unersättlichen Gott in seinen Eingeweiden zum Opfer zu fallen. Sie bemerkte die leichte Vertiefung in seinem Nacken, und noch ebenso weich und zart war wie in seiner Babyzeit, und fragte sich, wann sich das
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