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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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dankenswerterweise ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
      »Moooom...?«
      »Ich komm' ja schon, Schatz.« Sie eilte aus dem Zimmer.
     
    Fenn ging hinüber zur vierten Wand. Zunächst war er sich nur einer tiefen Enttäuschung bewußt. Das Messer steckte, immer noch vibrierend, zwischen zwei glänzenden Lippen. An der Direktheit des Wurfs war nicht zu zweifeln; da konnte er sich nichts vormachen. Er packte das Messer am Schaft und zog es aus der Wand, dann ging er in die Hocke, bis sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem Photo war.
      Sie hatte wunderschöne Augen mit langen, zweifellos falschen Wimpern. Und trotz des feinen Risses, der sich durch ihre Schneidezähne zog, schien sie zu lächeln. Bei ihrem Erfolg und Reichtum war das auch nicht verwunderlich. Seltsam, daß ihm der Rundfunk nicht früher in den Sinn gekommen war, doch jetzt, da die Entscheidung nicht mehr in seinen Händen lag - je länger er darüber nachdachte, desto sinnvoller erschien ihm seine Wahl. Die Enttäuschung ließ allmählich nach, als er über die positiven Aspekte dieser schicksalshaften Änderung seiner Pläne nachdachte. Beim Rundfunk würden sich weniger Leute um die Jobs drängeln, das stand außer Frage, und hätte er sich dort erst einmal etabliert, dürfte es nicht schwerfallen, zum Fernsehen überzuwechseln. Man brauchte nur an Wogan und Jimmy Saville zu denken, um nur zwei Beispiele zu nennen. Er könnte als DJ anfangen - jeder Idiot konnte Platten auflegen und dazu ein paar müde Witze machen - oder Leute interviewen, wozu wahrscheinlich ein wenig Übung nötig wäre, doch der Sender würde ihn sicherlich zu Fortbildungsseminaren schicken.
      Er näherte sein Gesicht der hübschen Frau auf dem Photo und lächelte. Er lächelte über den Gegensatz zwischen ihrer Ahnungslosigkeit und seiner Gewißheit. Die Tatsache, daß er im Gegensatz zu ihr um die baldige Änderung in ihrem Leben wußte, genoß er wie einen neuen, erlesenen Geschmack. Er wollte nach draußen laufen, die U-Bahn nehmen und zu ihrem Sender, dem City Radio, fahren. In ihr Büro gehen, dort Platz nehmen und ihr etwas über seine Person erzählen, ihr erklären, wie er dazu gekommen war, gerade sie auszuwählen; aber das würde er natürlich nicht tun. Leute wie sie wollten, daß man sich an die Regeln hielt, selbst wenn viele von ihnen durch ein Hintertürchen an ihren Job gekommen waren. Und was sollten ein paar Tage mehr oder weniger schon ausmachen?
      Er nahm ihr Bild von der Wand (jetzt erschien es ihm unangemessen, es unter den anderen Photos zu belassen) und trug es zum Tisch. Dann verließ er sein Zimmer, um einen Kugelschreiber, elegantes blaues Briefpapier und passende Umschläge zu kaufen. Zwar hatte er zuhause noch Papier und Stifte, aber die waren jetzt in seinen Augen verdorben, weil er sie dazu benutzt hatte, Briefe zu schreiben, die nicht zu den gewünschten Resultaten geführt hatten.
      Er setzte sich an den Tisch, stellte das Photo auf und zog einen seiner neuen Briefbögen hervor. Er entschied sich für eine einfache Anfrage. Über seine Zukunftspläne würden sie bei ihrem ersten Zusammentreffen reden können. Er schrieb seine Adresse mit äußerster Sorgfalt, achtete darauf, daß der Zeilenabstand gleichmäßig war, und setzte das Datum darunter. Plötzlich schien es entscheidend, den ersten Versuch nicht zu vermasseln. Das unberührte Papier fühlte sich frisch und glatt an. Als ihm bewußt wurde, wie verkrampft er den Stift hielt, lockerte er seinen Griff. Mit der anderen Hand nahm er ihr Photo vom Tisch.
      Dieser Mund gefiel ihm tatsächlich. Ihre geöffneten Lippen vermittelten einen Eindruck von Schutzlosigkeit. Um so besser. Eine abgebrühte Karrierefrau könnte anfangs Schwierigkeiten bereiten. Er brachte sein Gesicht so nah an das Photo heran, daß die Konturen verschwammen, und ein bekanntes, erregendes Gefühl der Verwirrung ergriff ihn. Es würde ihn nicht wundern, wenn ihre Gefühle bei ihrem ersten Zusammentreffen ähnlich wären. Ja. Er nickte und lachte auf, als sein Blick auf das Bücherregal fiel. Wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, würde er ihr einiges beibringen können. Ihr wirklich die Augen öffnen. Aber er vergeudete seine Zeit. Er nahm den Stift fest in die Hand und begann zu schreiben.
      »Liebe Rosa ...«
     
    Als Rosa das Büro betrat, schaltete Sonia Marshall das Diktiergerät ab, schwang sich auf ihrem Stuhl herum und legte die Hände ruhig in den Schoß. Sie wußte, wie sehr
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