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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus
Autoren: Erin Morgenstern
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Vater.
    Sein scharfer Tonfall lässt sie erröten, sie murmelt eine Entschuldigung. Zeiger, Rädchen und Federn fliegen zurück in die Uhr und sortieren sich, bis alles wieder an Ort und Stelle ist und die Uhr weitertickt, als wäre nichts geschehen.
    »Na, das ist schon etwas beeindruckender«, gibt der Mann im grauen Anzug zu. »Aber sie gerät schnell in Wut.«
    »Sie ist noch jung«, sagt Hector, tätschelt Celia den Kopf und ignoriert ihre missmutige Miene. »Und sie hat das in einem knappen Jahr gelernt. Wenn sie erwachsen ist, wird sie unschlagbar sein.«
    »Ich könnte das jedem Kind von der Straße beibringen. Unschlagbarkeit ist eine Frage der persönlichen Einschätzung und leicht zu widerlegen.«
    »Ha!«, ruft Hector aus. »Du spielst also mit!«
    Der Mann im grauen Anzug zögert kurz, dann nickt er.
    »Wenn es ein bisschen anspruchsvoller ist als letztes Mal, ja, dann bin ich interessiert«, sagt er. »Vielleicht.«
    »Natürlich wird es anspruchsvoller!«, sagt Hector. »Ich schicke ein Naturtalent ins Rennen. Und das verwettet man nicht so ohne weiteres.«
    »Naturtalent ist ein fragwürdiges Phänomen. Man könnte von Neigung sprechen, aber angeborene Fähigkeiten sind äußerst selten.«
    »Sie ist mein Kind, natürlich hat sie angeborene Fähigkeiten.«
    »Du sagst selbst, dass sie Unterricht hatte«, gibt der Mann im grauen Anzug zu bedenken. »Wie kannst du dir dann sicher sein?«
    »Celia, wann hast du mit dem Unterricht angefangen?«, fragt Hector, ohne sie anzusehen.
    »Im März«, antwortet sie.
    »In welchem Jahr, meine Liebe?«, fragt Hector.
    »Na, in diesem«, erwidert sie, als habe er eine besonders dumme Frage gestellt.
    »Acht Monate Unterricht«, stellt Hector klar. »Mit knapp sechs Jahren. Wenn ich mich recht entsinne, fängst du mit deinen Schülern manchmal etwas früher an. Celia ist eindeutig weiter, als sie es ohne Naturtalent wäre. Sie hat diese Uhr schon beim ersten Versuch zum Schweben gebracht.«
    Der Mann im grauen Anzug wendet sich an Celia.
    »Dass sie kaputtgeht, war nur Zufall, oder?«, fragt er und zeigt zu der Uhr auf dem Tisch. Celia zieht die Stirn kraus und nickt zögerlich.
    »Für ein so kleines Mädchen zaubert sie bemerkenswert gut«, sagt er zu Hector. »Aber ein aufbrausendes Temperament ist immer ein misslicher Faktor. Es führt leicht zu unbesonnenem Verhalten.«
    »Das verliert sich bestimmt, oder sie lernt, sich zu beherrschen. Es hat nichts zu bedeuten.«
    Der Mann im grauen Anzug behält das Mädchen weiter im Auge, während er mit Hector spricht. Statt Worten hört Celia plötzlich sonderbare Geräusche aus seinem Mund kommen und sie runzelt die Stirn, als die Erwiderungen ihres Vaters genauso konfus klingen.
    »Du würdest um dein eigenes Kind wetten?«, fragt der Mann im grauen Anzug ungläubig.
    »Sie verliert nicht«, sagt Hector. »Ich schlage vor, du suchst dir einen Schüler, von dem du dich leicht trennen kannst, falls du nicht schon einen hast.«
    »Und ihre Mutter hat dazu keine Meinung?«
    »Ganz recht.«
    Der Mann im grauen Anzug sieht das Mädchen noch eine Weile an, ehe er fortfährt, sie versteht seine Worte allerdings immer noch nicht.
    »Ich kann dein Vertrauen in ihre Fähigkeit verstehen, aber richte dich darauf ein, dass du sie verlierst, wenn der Wettstreit nicht zu ihren Gunsten ausgeht. Ich werde jemanden finden, der eine echte Herausforderung für sie ist. Andernfalls gäbe es keinen Grund für mich, an der Sache teilzunehmen. Ihr Sieg steht noch nicht fest.«
    »Das Risiko gehe ich gerne ein«, sagt Hector, ohne seine Tochter auch nur anzusehen. »Wenn du es hier und jetzt offiziell machen möchtest, dann los.«
    Der Mann im grauen Anzug blickt abermals zu Celia, und als er spricht, versteht sie seine Worte wieder.
    »Na schön«, sagt er und nickt.
    »Er hat gemacht, dass ich nicht richtig hören kann«, flüstert Celia, als ihr Vater sich zu ihr dreht.
    »Ich weiß, Liebes, das war nicht sehr höflich«, sagt Hector und führt sie näher an den Sessel, wo der Mann sie mit Augen mustert, die fast so hellgrau sind wie sein Anzug.
    »Konntest du schon immer solche Sachen?«, fragt er mit einem Blick auf die Uhr.
    Celia nickt.
    »Meine … meine Mutter sagt, ich sei ein Kind des Teufels«, sagt sie leise.
    Der Mann im grauen Anzug beugt sich vor und flüstert ihr etwas ins Ohr, zu leise für ihren Vater, um es zu hören. Ein verstohlenes Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht.
    »Streck deine rechte Hand aus«, sagt er und lehnt
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