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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos
Autoren: Albert Camus
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nichts hören lassen, wenn der Künstler, müde seines Spiels, es abbrechen will. Das bleibt sich gleich.
    So verlange ich von dem absurden Kunstwerk das, was ich vom Denken verlangte: Auflehnung, Freiheit und Mannigfaltigkeit. Dann wird es die tiefe Nutzlosigkeit manifestieren, In dieser täglichen Anstrengung, in der sich Geist und Leidenschaft mischen und gegenseitig steigern, entdeckt der absurde Mensch eine Zucht, die das Wesentliche seiner Kräfte ausmacht. Der Fleiß, den er dazu braucht, der Eigensinn und der Scharfblick vereinigen sich so mit der Haltung des Eroberers. Auch Schaffen heißt: seinem Schicksal Gestalt geben. Alle diese Gestalten erklärt ihr Werk mindestens ebensosehr, wie es durch sie erklärt wird. Der Komödiant lehrte uns: zwischen Schein und Sein gibt es keine Grenze.

    Um es zu wiederholen: nichts von alledem hat wirklichen Sinn. Auf dem Wege zu dieser Freiheit ist noch ein Schritt zu tun. Die letzte Anstrengung für diese verwandten Geister, Künstler oder Eroberer, besteht darin, sich von ihren Unternehmungen befreien zu können, zu dem Eingeständnis zu gelangen, daß das Werk selbst - sei es Eroberung, Liebe oder Kunstwerk - nicht sein kann, und so die tiefe Nutzlosigkeit allen individuellen Lebens zu vollenden. Gerade das gibt ihnen größere Leichtigkeit bei der Verwirklichung dieses Werkes, wie die Erkenntnis die Absurdität des Lebens ihnen das Recht gibt, sich bis zum Übermaß hineinzustürzen.
    Übrig bleibt ein Schicksal, bei dem nur das Ende verhängnisvoll ist. Abgesehen von diesem einzigen Verhängnis des Todes ist alles, Freude oder Glück, Freiheit. Es bleibt eine Welt, deren einziger Herr der Mensch ist. Was ihn bannte, war die Illusion einer anderen Welt. Das Los seines Denkens besteht nicht mehr darin, sich selbst zu verleugnen, sondern in Bildern aufzugehen. Es wird spielerisch - in Mythen sicherlich, aber in Mythen, die keine andere Tiefe haben als die des menschlichen Schmerzes und wie diese unerschöpflich sind. Nicht in der göttlichen Fabel, die unterhält und blind macht, sondern in Gesicht, Tat und Drama dieser Erde vereinigen sich eine wunderliche Weisheit und eine Leidenschaft ohne ein Morgen.

IV. DER MYTHOS VON SISYPHOS

Der ewige Rebell

    Die Götter hatten Sisyphos dazu verurteilt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, von dessen Gipfel der Stein von selbst, wieder hinunterrollte. Sie hatten mit einiger Berechtigung bedacht, daß es keine fürchterlichere Strafe gibt als eine unnütze und aussichtslose Arbeit.
    Wenn man HOMER Glauben schenken will, war Sisyphos der weiseste und klügste unter den Sterblichen. Nach einer anderen Überlieferung jedoch betrieb er das Gewerbe eines Straßenräubers. Ich sehe darin keinen Widerspruch. Über die Gründe, weshalb ihm in der Unterwelt das Dasein eines unnützen Arbeiters beschert wurde, gehen die Meinungen auseinander. Vor allem wirft man ihm eine gewisse Leichtfertigkeit im Umgang mit den Göttern vor. Er gab ihre Geheimnisse preis. Egina, die Tochter des Asopos, wurde von Jupiter entführt. Der Vater wunderte sich über ihr Verschwinden und beklagte sich darüber bei Sisyphos. Der wußte von der Entführung und wollte sie Asopos unter der Bedingung verraten, daß er der Burg von Korinth Wasser verschaffte. Den himmlischen Blitzen zog er den Segen des Wassers vor. Dafür wurde er in der Unterwelt bestraft. HOMER erzählt uns auch, Sisyphos habe den Tod in Ketten gelegt. Pluto konnte den Anblick seines stillen, verödeten Reiches nicht ertragen. Er verständigte den Kriegsgott, der den Tod aus den Händen seines Überwinders befreite.
    Außerdem heißt es, Sisyphos wollte, als er zum Sterben kam, törichterweise die Liebe seiner Frau erproben. Er befahl ihr, seinen Leichnam unbestattet auf den Markt zu werfen. Sisyphos kam in die Unterwelt. Dort wurde er von ihrem Gehorsam, der aller Menschenliebe widersprach, derart aufgebracht, daß er von Pluto die Erlaubnis erwirkte, auf die Erde zurückzukehren und seine Frau zu züchtigen. Als er aber diese Welt noch einmal geschaut, das Wasser und die Sonne, die warmen Steine und das Meer wieder geschmeckt hatte, wollte er nicht mehr ins Schattenreich zurück. Alle Aufforderungen, Zornausbrüche und Warnungen fruchteten nichts. Er lebte noch viele Jahre am Golf, am leuchtenden Meer, auf der lächelnden Erde und mußte erst von den Göttern festgenommen werden. Merkur packte den Vermessenen beim Kragen, entriß ihn seinen Freunden und brachte ihn gewaltsam
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