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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos
Autoren: Albert Camus
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Ausdrucksweise zurückkehren. Es handelt sich einfach um das Geständnis, daß es . Leben ist naturgemäß niemals leicht. Aus vielerlei Gründen, vor allem aus Gewohnheit, tut man fortgesetzt Dinge, die das Dasein verlangt. Freiwilliges Sterben hat zur Voraussetzung, daß man wenigstens instinktiv das Lächerliche dieser Gewohnheit erkannt hat, das Fehlen jedes tieferen Grundes zum Leben, die Sinnlosigkeit dieser täglichen Betätigung, die Nutzlosigkeit des Leidens.
    Was für ein unberechenbares Gefühl raubt nun dem Geist den lebensnotwendigen Schlaf? Eine Welt, die sich - wenn auch mit schlechten Gründen - deuten und rechtfertigen läßt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Verstoßen-sein gibt es für ihn kein Entrinnen, weil er der Erinnerungen an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist. Dieser Zwiespalt zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Schauspieler und seinem Hintergrund ist eigentlich das Gefühl der Absurdität. Da alle normalen Menschen an Selbstmord gedacht haben, wird es ohne weiteres klar, daß zwischen diesem Gefühl und der Sehnsucht nach dem Nichts eine direkte Beziehung besteht.

Leben ohne Sinn?

    So ist alles dazu angetan, Verwirrung zu stiften. Nicht umsonst haben wir bisher mit Worten gespielt und so getan, als glaubten wir dem Leben einen Sinn abzusprechen, führe notgedrungen zu der Erklärung, das Leben lohne sich nicht. Tatsächlich gibt es zwischen diesen beiden Urteilen kein zwangsläufiges Verhältnis. Wir dürfen, uns nur nicht von den bisher angeführten Verwirrungen, Zerwürfnissen und Inkonsequenzen irreführen lassen. Wir müssen das alles beiseitelassen und geradewegs auf das wirkliche Problem losgehen.

    Man bringt sich um, weil das Leben sich nicht lohnt das ist zweifellos eine Wahrheit, freilich eine unergiebige Wahrheit, weil sie ein Gemeinplatz ist. Aber rührt diese Beleidigung des Daseins, dieses Ableugnen, durch das man es verschwinden läßt, daher, daß es keinerlei Sinn hat? Verlangt seine Absurdität, daß man ihm mittels der Hoffnung oder durch den Selbstmord entflieht? Das allein müssen wir herausbekommen, untersuchen und klären; alles übrige müssen wir außer acht lassen. Verlangt das Absurde den Tod, so müssen wir dieses Problem allen anderen vorziehen - frei von aller Methodik, von allen Spielereien eines unbeteiligten Geistes. Feine Unterschiede und Widersprüche, die ganze Psychologie, die ein Geist auf alle Probleme anzuwenden weiß, haben bei dieser Untersuchung und bei dieser Sache des Herzens nichts zu suchen. Hier ist nur rücksichtsloses, d.h. logisches Denken am Platze. Keine leichte Aufgabe. Logisch zu sein, ist immer bequem. Nahezu unmöglich ist es aber, logisch bis ans Ende zu sein. Menschen, die von eigener Hand sterben, folgen damit dem Zuge ihres Herzens bis zum äußersten. Die Betrachtung des Selbstmordes gibt mir also Gelegenheit, das einzige mich wirklich interessierende Problem zu fixieren: gibt es eine Logik bis zum Tode? Das kann ich nur herausbekommen, wenn ich mit gezügelter Leidenschaft, lediglich im Lichte der Evidenz, die Überlegung anstelle, deren Ausgangspunkt ich hier bezeichne. Ich nenne sie eine absurde Überlegung. Viele haben sie begonnen. Ich weiß aber noch nicht, ob sie sich auch daran gehalten haben.
    Wenn KARL JASPERS die Unmöglichkeit aufdeckt, die Einheitlichkeit der Welt zu begründen, und erklärt: , so beschwört er - nach vielen anderen - die ausgedörrten Einöden, in denen das Denken seine äußerste Grenze erreicht. Nach vielen anderen - gewiß; aber wie viele haben sie schleunigst wieder verlassen! Diese letzte Kehre, an der das Denken unsicher wird, haben viele Menschen erreicht und gerade auch die Demütigsten. Die einen entsagten dem Teuersten, das sie besaßen: ihrem Leben. Andere, Fürsten im Reiche des Geistes, haben auch entsagt - aber sie sind zum Selbstmord des Denkens in seiner reinsten Auflehnung gekommen. Die wahre Leistung besteht vielmehr darin, sich dort solange wie möglich zu halten und die barocke Vegetation dieser fernen Gegenden aus der Nähe zu erforschen.
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