Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
das Mittel dieser relativen und zugleich unerschöpflichen Erkenntnis, die der Erkenntnis der Liebe so ähnlich ist. Von der Liebe hat die Romanschöpfung die anfängliche Verwunderung und das furchtbare Wiederkäuen.

Dem Absurden treu bleiben

    Wenigstens für die Illusionen bin ich ihm dankbar beim Scheiden. Aber ich habe sie auch bei jenen Fürsten des demütigen Denkens anerkannt, deren Selbstmorde ich betrachten konnte. Mich interessiert es gerade, die Kraft kennenzulernen und zu beschreiben, die sie auf den allgemeinen Weg der Illusion zurückführt. Dieselbe Methode wird mir also auch hier dienlich sein. Da ich sie bereits angewandt habe, darf ich meine Überlegung abkürzen und sie gleich in einem bestimmten Beispiel zusammenfassen. Ich möchte wissen, ob man, bereit, ohne Berufung zu leben, auch einwilligen kann, ohne Berufung zu arbeiten und zu schaffen, und welcher Weg zu diesen Freiheiten führt. Ich will meine Welt von ihren Phantomen befreien und will sie nur mit sinnlichen Wahrheiten bevölkern, deren Vorhandensein ich nicht leugnen kann. Ich kann Absurdes schaffen, kann die schöpferische Haltung vor einer anderen bevorzugen. Aber wenn eine absurde Haltung absurd bleiben soll, dann muß ich auch ihrer Willkür bewußt bleiben. So ist es auch mit dem Kunstwerk. Wenn die Gebote des Absurden hier nicht beachtet werden, wenn es nicht den Zwiespalt und die Auflehnung sichtbar macht, wenn es den Illusionen huldigt und die Hoffnung aufkommen läßt, dann ist es nicht mehr willkürlich. Ich kann mich nicht mehr von ihm lösen. Mein Leben kann in ihm einen Sinn finden: das ist lächerlich. Es ist nicht mehr diese Übung der Entsagung und des Leidens, die den Glanz und die Nutzlosigkeit eines Menschenlebens vollendet.
    Kann man also bei dem Kunstwerk, bei dem die Versuchung zu erklären am stärksten ist, diese Versuchung überwinden? Kann ich in der fiktiven Welt, in der das Bewußtsein der wirklichen Welt am stärksten ist, dem Absurden treu bleiben, ohne dem Wunsche nach Schlußfolgerungen zu huldigen? So viele Fragen sind mit einer letzten Anstrengung noch zu betrachten. Wir haben schon begriffen, was sie bedeuteten. Es sind die letzten Skrupel eines Bewußtseins, das um den Preis einer letzten Illusion seine erste und schwierige Lehre aufzugeben fürchtet. Was für das Schaffen gilt, das für den im Bewußtsein des Absurden lebenden Menschen als eine der möglichen Haltungen angesehen wird, das gilt für alle Lebensstile, die sich ihm anbieten. Der Eroberer oder der Schauspieler, der Künstler oder Don Juan können vergessen, daß ihre Lebensbeschäftigung nicht ohne das Bewußtsein ihrer Sinnlosigkeit ausgeübt werden könnte. Man gewöhnt sich so rasch. Man will Geld verdienen, um glücklich zu leben, und die ganze Anstrengung, die beste Kraft eines Lebens konzentrieren sich auf den Erwerb dieses Geldes. Das Glück wird vergessen, das Mittel wird Selbstzweck. Ebenso wird die ganze Anstrengung des Eroberers auf den Ehrgeiz abgeleitet werden, der nur ein Weg zu einem bedeutenderen Leben war. Don Juan seinerseits wird auch mit einem Schicksal zufrieden sein, wird sich mit diesem Dasein, dessen Größe nur durch die Auflehnung Wert bekam, begnügen. Bei dem einen ist das Bewußtsein, bei dem anderen die Auflehnung, bei beiden aber das Absurde verschwunden. Das menschliche Herz kennt soviel eigensinnige Hoffnung. Die Menschen, die am meisten gerupft werden, sind manchmal schließlich zur Illusion bereit. Diese durch das Bedürfnis nach Frieden diktierte Billigung ist der innere Bruder der existentiellen Zustimmung. So gibt es Götter des Lichts und Götzen des Schmutzes. Aber den Mittelweg, der zu den Gesichtern des Menschen führt, gilt es zu finden.
    Bisher haben uns die Fälle des Versagens gegenüber der absurden Forderung am besten verdeutlicht, was sie ist. Ebenso wird für unsere Erkenntnis die Beobachtung genügen, daß die Romanschöpfung die gleiche Zweideutigkeit bieten kann wie gewisse Philosophien. Ich kann also zur Erläuterung ein Werk wählen, in dem alles vereinigt ist, was das Bewußtsein des Absurden kennzeichnet, dessen Ausgangspunkt klar und dessen Klima licht ist. Seine Folgerungen werden uns belehren. Wenn das Absurde darin nicht gewürdigt wird, werden wir wissen, durch welchen Winkelzug die Illusion sich einschleicht. Ein genaues Beispiel, ein Thema, eine Treue des Schöpfers werden dann genügen. Es handelt sich um die gleiche Analyse, die schon ausführlicher unternommen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher