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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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weiß, wie sehr ich die Vergangenheit bedauerte.
    Nahid heiratete und ging außer Haus. Ich blieb mit Mansur und seinem kleinen Sohn übrig. Mansur war an meiner Seite. Er war meine Stütze. Er sagte, »Mahbube, hast du Hassan Chan besucht? Wo ist Hadi? Was macht er?«
    Hadi Chan war Generaldirektor geworden.
    Unser behagliches Leben hielt sieben weitere Jahre an. Ich besaß eine kleine, vollkommene Familie. Ich war glücklich und zufrieden. Nach und nach vergaß ich die Vergangenheit. Aber die Natur erlaubte mir nicht, glücklich zu werden. Alles begann mit einem ›Aua‹. Mansur schreckte aus dem Schlaf und griff sich an die Hüfte, »Aua!«
    Hastig fragte ich, »Was ist denn geschehen?«
    »Es ist nichts. Offenbar habe ich mich erkältet.«
    Doch er hatte sich nicht erkältet. Es war Krebs. Er begann sich gerade zu zeigen. Ich war verzweifelt und wußte nicht, was tun. Ich hatte Mansur gerade erst zu schätzen begonnen und begriffen, wie viel er mir wert war. Je magerer und schwächer er wurde, desto mehr begehrte ich ihn. Ich belagerte alle Arztpraxen und Krankenhäuser. Es nützte nichts. Ich wollte ihn zur Behandlung ins Ausland schicken, doch man erklärte mir, es würde nichts helfen. Es war zu spät. Ich sah ihn, wie er kraftlos auf seinem Lager lag. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen. Er hatte sich gelblich verfärbt, doch ich begehrte ihn nach wie vor. Ich erinnerte mich an mein Leben, das an seiner Seite behaglich gewesen war. Ich erinnerte mich an seinen verstohlenen Blick an Ssizdah Bedar und hätte am liebsten geschrien. Mein ruhiges und angenehmes Leben rieselte wie Sand durch meine Finger und zerrann. Ich bemühte mich, ihn zu stützen, doch mir fehlte die Kraft. Ich wollte ihn nicht verlieren. Das war nicht fair. Ich bemerkte nicht mehr, wann es Tag wurde und wann Nacht, ich war dem Wahnsinn nah. Ich versuchte alles. War das Liebe? Wenn es nicht Liebe war, was war es sonst? Er sagte, »Mahbube, geh nicht fort. Setz dich neben mich und erzähl mir etwas. Verwirre dein Haar, das mich ein Leben lang verwirrt hat. Zieh neue Kleider an, damit mir das Herz aufgeht. Ich will mich satt sehen an dir, damit ich dein Bild vor Augen habe, wenn ich gehe.«
    Ich flehte ihn an, »Mansur, was redest du da? Du wirst nirgendwo hingehen.«
    »Ich würde gern bleiben, aber es geht nicht. Was bleibt mir übrig? Es liegt nicht in meiner Hand. Ich selbst kann es auch nicht glauben. Ich will es nicht akzeptieren.«
    Chodjastehs Ehemann kam ihn ständig besuchen. Er setzte sich zu ihm und erzählte ihm von Gott und der Welt. Mansur war noch umgänglich. Solange er keine Schmerzen hatte, war er der gewohnte gastfreundliche, gebildete und gesellige Mansur. Ich kann mich gut erinnern, wie er eines Nachts halb im Scherz sagte, »Herr Doktor, verzeihen Sie mir alles. Ich habe Ihnen sehr viel Mühe bereitet.« Und er fügte lachend hinzu, »Es genügt, wenn Sie mit mir zufrieden sind, dann wird für mich aus dem Höllenfeuer ein Blumengarten.«
    Der Doktor lachte bekümmert und sagte, »Sie sind für das Paradiesbestimmt, mein Herr. Es steht Ihnen mit all seinen Huris ganz allein zur Verfügung. Jemand muß sich um Sie kümmern.«
    Mansur deutete auf mich und sagte, »Wallah, ich weiß nicht, weshalb man so darauf beharrt, mich aus diesem Paradies zu vertreiben:
    Die Liebste ist bei mir, was verlange ich mehr?
    Die Pracht dieser Gefährtin genügt für ein Leben«
    Er fieberte, und es ging ihm schlecht. Er hatte Schmerzen und war schweißgebadet. Seine Hand lag in meiner, und er tröstete mich mit philosophischen Betrachtungen. Ich sagte, »Mansur, Gott allein weiß, wie sehr ich es bereue. Ach, hättest du mich doch an jenem Tag im Garten mit Schlägen zum Notar gebracht und geheiratet.«
    Er lächelte mühsam und antwortete, »Man muß schon einen sehr schlechten Geschmack haben, um dich zu schlagen.«
    Mir blutete das Herz. Mansur legte eine Pause ein und fuhr fort, »Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn, Mahbube. Was wird mit meinem Nachkömmling geschehen, wenn ich nicht mehr da bin?«
    Es preßte mir das Herz zusammen, aber ich sagte, »Und wozu bin ich gut? Zähle ich etwa nicht? Bin ich ihm denn nicht wie eine Mutter gewesen? Habe ich mich etwa bisher nicht um ihn gekümmert? Habe ich ihn nicht großgezogen? Denk bloß nicht, es war nur deinetwegen! Ich liebe ihn ebenso wie du. Wenn er neben mir sitzt, denke ich, es wäre mein eigener Sohn. Ich werde verrückt, wenn er sich auch nur eine Stunde verspätet.«
    »Ich
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