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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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gutmütig ist? Ich lebe nicht aus Liebe mit ihr zusammen, sie tut mir nur leid. Sie erwartet auch keine Zuneigung von mir. Ich leide selbst darunter. Eine Frau zu erdulden, auf die ich aus Mitleid und nicht aus Verlangen zugehe, ist keine geringe Qual. Also quäl du mich nicht auch noch. Stürz mich nicht noch mehr ins Elend.«
    Er verstummte und erhob sich von seinem Platz. Er begann umherzugehen. Seine Umgebung nahm er gar nicht wahr. Sein Fuß stieß an die Tar, die einen Klang von sich gab. Er bückte sich nicht einmal, um sie aufzuheben. Er war in Gedanken versunken. Offenbar wußte er nicht, womit er beginnen sollte. Schließlich wandte er sich zu mir um und fuhr fort, »Kannst du dich noch erinnern, wie unbarmherzig du mir gesagt hast, du würdest mich nicht begehren?Du würdest mir einen Schreinerlehrling vorziehen? Weißt du, was du mir angetan hast? Nein, du hast nur an dich selbst gedacht. Nur du und deine Wünsche zählten. Ich wünschte, ich hätte über dich verfügen können, und wußte nicht, weshalb. Um dich unter meinen Füßen zu zerquetschen oder um dich zu umarmen. Weißt du, daß ich an diesem Tag aufs Pferd gestiegen und bis zum Nachmittag durchgeritten bin? Und daß ich mich wunderte, daß mein Gesicht feucht vor Tränen war? Weißt du, daß ich nicht mehr nach Hause zurückkehren wollte? Ich ging zur Moschee von Shah Abdol Azim und bin zwei Tage lang dort geblieben. Ich wollte irgendwo sein, wo ich fremd war. Wo mich keiner etwas fragte. Damit mein Kummer, mein verletzter Stolz und die Schmerzen meiner quälenden Liebe zu dir allmählich abklingen konnten. Weißt du, daß ich im Herbst jenes Jahres zwei Monate im Garten von Shemiran verbrachte? Tagsüber besuchte ich meine Mutter in der Stadt und täuschte Unbekümmertheit vor, um ihrer Neugierde und ihren Fragen zu entgehen. Um die traurigen und verstörten Blicke meines Vaters nicht sehen zu müssen. Und nachts kehrte ich nach Shemiran zurück. Ich fuhr den ganzen langen Weg, setzte mich dann hin und spielte Tar. Nimtadjs Vater, der die Lichter in unserem Haus brennen sah, kam mich aus dem benachbarten Garten besuchen. Wir saßen zusammen und unterhielten uns. Oder ich ging sie besuchen. Er war ein gebildeter Mann. Er fragte nicht, was mich quälte und mein Herz bedrückte. Aber er sagte etwas Weises. Er philosophierte und sagte,
    ›Diese Zeiten, bitterer als Gift, werden entschwinden
    Und Zeiten süß wie Zucker sich wieder einfinden‹
    Ich lachte und sagte, ›Bestimmt werden sie sich einfinden, doch nur nach großer Trübsal.‹
    Allmählich kam ich durch die Begegnungen mit ihm zur Ruhe und konnte mich wieder zusammennehmen. Dann erzählte er mir von unabänderlichen Schicksalsschlägen. Er wollte mich trösten. Er wollte mir indirekt sagen, mein Kummer sei keiner. Kummer und Qualen bedeuteten etwas anderes. Sie bedeuteten, daß ein bildhübsches Mädchen mit zwölf Jahren die Pocken bekommt. Daß die Eltern sich täglich hundert Mal den Tod des Mädchens und ihren eigenen Tod wünschten. Das bedeutete Qual. Alles andere sei Undankbarkeit.Nimtadj verhüllte ihr Gesicht nicht vor mir. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, daß ich sie fragen würde, ob sie meine Frau werden wollte. Sie kam und ging und sah mich teilnahmsvoll an. Sie empfand Mitleid mit mir. Plötzlich, ich weiß selber nicht, wie es dazu kam, hielt ich bei ihrem Vater um ihre Hand an. Vielleicht sagte ich mir, ›Wenn ich schon unglücklich bin, laß mich zumindest eine andere glücklich machen!‹ Vielleicht wollte ich mich an dir rächen. Mich an mir selbst rächen. Ich zürnte allem und jedem. Ich schloß einfach die Augen und faßte diesen Entschluß. Weder der Widerstand meines Vaters noch die Klagen und Verwünschungen meiner Mutter wirkten. Schließlich hatte ich auch ein Herz, aber es ging mir viel elender als dir. Du weißt nicht, wie oft ich nachts, wenn ich neben Nimtadj schlief, vor Eifersucht, daß du im Haus dieses Schreiners schliefst, aus dem Schlaf schreckte und wie ich litt! Gott verfluche dich, Mahbube. Weshalb zwingst du mich, dir das zu erzählen? Willst du mich demütigen?«
    Er ließ sich in den Sessel fallen und starrte zu Boden. Ich kniete mich neben ihn, um ihm in die Augen zu sehen. Er hob den Kopf nicht. Ich fragte, »Zürnst du mir, Mansur?« Er antwortete nicht. Ich brach in Tränen aus und sagte, »Ich hab dir mein Herz ausgeschüttet, um mich von dieser Bürde zu befreien. Laß mich dir mein Herz ausschütten, Mansur, nur gelegentlich.
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