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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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leide. Wie lange soll ich mich noch damit abfinden? Ich kann es nicht ertragen, dich in ihrem Zimmer und in ihren Armen zu wissen. Sieh her, was bin ich schon, Mansur? Ein Blatt im Wind. Was habe ich denn? Ich liebe deine Kinder. Ich liebe Manuchehr, aber ich habe nichts Eigenes. Niemand ist an mich gebunden. Es spielt keine Rolle, ob ich da bin oder nicht. Jeden Tag frage ich mich,›Mahbube, was tust du hier? Was hast du als Eindringling in dieser Familie verloren?‹ Ich sage mir, ›Du dienst zum Zeitvertreib. Man hat dir wirklich einen passenden Namen gegeben. Du bist die Geliebte der Nacht.‹ Aber dann höre ich wieder deine Schritte, und mein Herz zuckt zusammen. Wieder warte ich auf dich. Und wenn ich die Tar sehe, auf der du nachts spielst, wenn ich deine Bücher, deinen Hut, deinen Spazierstock sehe und dein Hemd auf dem Bett, muß ich an dich denken und komme wieder zur Ruhe. Ich versuche, mich mit der Hälfte von dir, die mir gehört, zu trösten. Einst habe ich Rahim leidenschaftlich geliebt, aber jetzt verabscheue ich ihn, mich und diese Welt. Ich werde mir diese falsche Entscheidung niemals verzeihen. Aber ich weiß nicht, vielleicht ist für mich der Name Rahim auch ein Zeichen der Liebe. Vielleicht bedeutet er Zuneigung. Vielleicht bedeutet es, wenn ich dich Rahim Djan nenne, daß ich dich liebe, daß ich außer dir niemanden und nichts habe. Ich bin nicht wie Nimtadj. Ich habe nur dich. Ich bin an dich gebunden und begehre dich aus tiefstem Herzen. Ich lüge nicht, wenn ich sage, daß ich die einstigen heftigen Gefühle nicht mehr aufbringen kann. Ach, wenn es doch nur so wäre. Aber es geht nicht mehr. Dennoch, was sollte es anderes bedeuten als Liebe, wenn ich morgens erwache, weil ich mich auf dich freue, und nachts von dir träume? Was sollte Liebe anderes bedeuten? Weshalb bist du so ungerecht? Was ist es, wenn nicht Liebe, wenn ich mich vor Eifersucht verzehre und es mir nicht anmerken lasse, wenn ich deinem Seelenfriedens und Glück zuliebe den Kummer erdulde? Du schreist mich zornig an, und ich sehne mich im selben Augenblick nach deiner Umarmung. Wenn das nicht Liebe bedeutet, was bedeutet es dann? Laß mir ein wenig Zeit. Begreif meine Qual. Ach, könnte ich dich doch nur ein Jahr lang so lieben, wie ich Rahim geliebt habe. So blindlings, so leichtgläubig, so… so heißblütig und entfesselt. Aber das war keine Liebe, das war Wollust, Mansur. Eine Wollust, die aufloderte und verglühte.«
    Mansur starrte mich fassungslos an, und ich ihn ebenso verwirrt. Erst dann begriff ich, was ich gesagt hatte. Was ich getan hatte. Erst in dem Augenblick ging mir auf, was es mit den Qualen der vergangenen sechs, sieben Jahre auf sich gehabt hatte, und ich sagte sanft, wie jemand, der im Schlaf spricht, »Ja, Mansur, jetzt erst begreife ich. Es war wirklich die pure Wollust.«
    Mansur ließ sich langsam in den Sessel gleiten. Er hatte sich beruhigt. Er stützte die Ellenbogen auf seine Knie und legte den Kopf in die Hände. Er trug Hemd, Hose und eine Weste. Er war großmütig und rechtschaffen. Ich mochte ihn, sogar sehr. Ruhig und bekümmert sagte er, »Aber ich liebe dich genau so, wie du es beschrieben hast. Genau so ungezügelt. Gott verfluche dich, Mahbube. Sieh, was du dir und mir angetan hast. Denkst du, ich wäre ohne dich froh? Mit dir zusammen froh? Denkst du, ich wäre mit dieser Situation, mit diesem Leben zufrieden?…« Mit der rechten Hand deutete er auf das andere Haus und fuhr fort, »Täglich hundert Mal sage ich mir, ›Ach, würde Mahbube doch schwanger werden. Ach, wären diese Kinder doch nur von ihr. Nachts schließe ich die Augen und suche in Nimtadjs Wesen nach dir. Denkst du, es fiele mir, einem Mann, der sich für fortschrittlich hält, leicht, zwei Frauen zu haben? Mit der einen die Gäste zu empfangen und mit der anderen spazierenzugehen? Zu Festlichkeiten oder ins Café zu gehen? Von verschiedenen Frauen Kinder zu haben? All das hast du mir eingebrockt. Du hast auch mich unglücklich gemacht, Mahbube. Aber ich weiß nicht, weshalb ich trotz dem Unheil, das du über mich gebracht hast, und trotz deinem aufbrausenden Wesen dich noch immer so begehre. Als würdest du über einen Liebeszauber verfügen. Ich bemerke sehr wohl, daß du mit Nimtadj gut auskommst. Daß du sie zuvorkommend behandelst. Ich wünschte, Nimtadj hätte sich als unverträglich erwiesen. Ich hätte mich von ihr scheiden lassen können und wäre erlöst. Aber was kann ich dafür, daß sie so harmlos und
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