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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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Silvesternacht die Pflichtrakete und rief einander über den Zaun »Prosit Neujahr!« zu. Im übrigen war man allein. Horstmann dachte: Es ist so einfach, einen Mann wie Binder zu töten. Aber es ist unmöglich, eine Frau wie Maria auszuschalten. Wie sollte man das auch tun? Ich bin zwanzig Jahre mit ihr verheiratet. Ich habe geschuftet wie ein Verrückter. Ich bin Vater, Hausbesitzer, Forscher. Aber Ehemann bin ich nicht.
    Dann fiel ihm ein, dass er in seiner Brieftasche nach wie vor zweihunderttausend Mark mit sich herumtrug. Er besaß jetzt also im ganzen dreihunderttausend Mark, ein Vermögen. Es war wichtig, es gut zu verstecken. Er versuchte zu überlegen, wo er es verstecken könnte, aber dann irrten seine Gedanken wieder ab.
    Maria ahnte also, dass er Binder getötet hatte. Doch sie würde es nicht beweisen können. Sie hatte zwar gedroht, zur Polizei zu gehen. Aber das würde sie niemals tun. Niemals würde sie auf das Revier laufen und sagen: »Mein Mann hat Binder umgebracht!« Das war undenkbar. Ich kann getrost diese zweihunderttausend Mark verwetten, dass sie es nicht tut, dachte er. Das bringt sie nicht fertig.
    Horstmann ging weiter. Ich werde das Geld in der Brieftasche lassen, überlegte er. Irgendwann, in einigen Wochen, werde ich wegfahren und das Geld irgendwo unterbringen. Vielleicht in Belgien. Belgien soll verschwiegen sein. Oder in der Schweiz. Das ist jetzt kein Problem. Abgesehen von Maria, die alles nur ahnt, bin ich ziemlich perfekt gewesen. Gut, sie hat mit der Polizei gedroht, aber sie wird nicht zur Polizei gehen. Doch was will sie eigentlich?
    Horstmann blieb stehen und starrte hinüber auf die Hauptstraße. Es dauerte nicht lange, bis er es gefunden hatte. Die Erkenntnis war schmerzhaft. Sie will dich, Horstmann, dachte er entsetzt, sie will dich mit Haut und Haaren. Hast du es endlich begriffen?
    Nein, sie würde niemals zur Polizei laufen. Aber sie würde immer neben ihm stehen und ihn stets und gnadenlos daran erinnern, dass er Binder ermordet hatte. Sie würde wie sein Schatten, nein, besser wie sein Gewissen neben ihm herlaufen,immer bereit, darauf hinzuweisen, dass sie auch diese Schweinerei mit ihm durchgefochten hatte. Sie würde ihm niemals glauben, wenn er beteuerte, Binder nicht getötet zu haben. Sie würde den Gedanken, er sei ein Mörder, hegen und pflegen, wie man ein hilfloses Kind pflegt. Sie war jetzt die Mutter seiner schweren Sünde. Jawohl, das war sie. Sie hatte endlich erreicht, was sie wollte. Sie war ein Teil seiner selbst.
    »Das darf nicht sein«, stieß er hervor, »das ist doch unmöglich.« Gleich darauf sah er sich um, ob ihn jemand gehört hatte. Jetzt ging er schneller. Immer wird sie quälend eng an meiner Haut sitzen, dachte er weiter. Wenn ich irgendetwas unternehme, was ihr nicht gefällt, wird sie Binder erwähnen. Niemals werde ich frei sein von ihr. Das kann ich nicht hinnehmen. Ich kann auch nicht warten, bis ihr Herz mir die Gnade erweist, nicht mehr zu schlagen. Ich muss etwas tun. Jetzt.
    Kannst du sie töten?
    Horstmann stieß mit der Schuhspitze einen kleinen, trockenen Zweig vor sich her. Das war eine schwierige Frage, doch er brauchte nicht lange, sie zu beantworten.
    Ich glaube, ich kann sie töten, dachte er. Technisch ist es einfach. Ich setze mich in den Keller vor das Mikroskop. Ich habe nur die Lampe am Objektträger des Mikroskops eingeschaltet. Ich rufe sie. Sie kommt herunter und an den Tisch. Ich sprühe ihr das Mittel direkt in das Gesicht und stoße sie zurück, Sie wird ungefähr zwischen der Tür und der Treppe nach oben liegen, wenn der Arzt kommt.
    Ich kann so nicht mehr weiterleben. Ich kann nicht dauernd neben ihr her leben, wenn sie weiß, dass ich Binder umgebracht habe, und wenn sie eines Tages in einem hysterischenAnfall davon zu kreischen beginnt. Ich kann mit diesem Gedanken nicht leben, der eigentlich ihr Gedanke ist.
    Ich kann sie töten.
    Es ist nur die Frage, wann ich es tun soll.
    Horstmann ging jetzt sehr schnell. Er dachte: Ich tue es jetzt sofort. Ich kann mir großartige Überlegungen einfach nicht mehr leisten, ich tue es sofort.
    Und so geschah es.
    ENDE
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