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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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und es ist kein Scherz. Aber dann tat ich das einzig Richtige. Ich rief Ihre Frau an.«
    Horstmann setzte sich langsam auf den mit Resopal überzogenen Tisch an dem Fenster zur Straße. »Meine Frau? Was haben Sie ihr gesagt?«
    »Eigentlich nichts«, sagte Binder. »Jedenfalls nichts, was diese Dinge direkt betrifft. Ich habe ihr nur gesagt, sie solle auf Sie einwirken, dass Sie keine Fehler machen.«
    Horstmann war irritiert.
    »Überlegen Sie es sich also.« Binder drehte sich um und ging schnell hinaus.
    »Na schön«, sagte Horstmann gleichgültig, und er wartete, bis er von Binder nichts mehr hörte. Als er auf dem Parkplatz neben seinem Wagen stand, hatte er einen Augenblick lang eine so tiefe, einschnürende Furcht, dass er glaubte, ohnmächtig zu werden. Aber er wurde nicht ohnmächtig. Er trank in einer Kneipe zwei Gläschen Schnaps und fuhr nach Hause.
    Maria saß mit Sabine im Wohnzimmer. Sie fragte: »Du weißt, wo Harald ist? Warum ist er einfach weggegangen, ohne ein Wort zu sagen?« Man sah ihr an, dass sie viel geweint hatte.
    Horstmann sagte: »Sabinchen, besorg mir bitte ein Bier und einen Weinbrand.«
    »Wenn ihr euch allein unterhalten wollt, braucht ihr es nur zu sagen!«
    Horstmann lachte. »Ich habe gedacht, das Misstrauen sei vorbei«, sagte er. »Du holst mir bitte ein Bier und einen Weinbrand und kommst wieder her. Wir haben keine Heimlichkeiten, deine Mutter und ich.« Einen Augenblick lang dachte er verbittert, dass er tatsächlich mit der Frau, die zwanzig Jahre seine Frau war, keine Heimlichkeiten hatte.
    »Wo ist der Junge?«, fragte Maria seltsam ruhig.
    Sabine kam mit einem Tablett zurück.
    »Nimm dir auch ein Glas, wenn du willst«, lud Horstmann sie ein.
    Sabine schüttelte den Kopf. »Asbach trinke ich nicht. Ich bin etwas Besseres gewohnt.«
    »Na denn nicht.« Horstmann wandte sich wieder seiner Frau zu. »Wovon sprachen wir doch gleich?«
    »Du wolltest mir von Harald erzählen«, sagte Maria.
    »Ach ja. Ja, also der Junge steckt in einer Krise. Er raucht Haschisch. Ich habe ihm einen Scheck gegeben, um seine Schulden zu bezahlen. Er ist aber mit dem Geld geflohen. Das ist alles.«
    »Vor wem geflohen?«
    »Vor uns«, sagte Horstmann, und es bereitete ihm keinerlei Mühe mehr, nichts als die Wahrheit zu sagen. Er sah nicht ein, dass er alles allein ausbaden sollte. »Er ist aus seinem Elternhaus weggelaufen, weil ich mich zum Beispiel viel zu wenig darum gekümmert habe, was er dachte und wie er lebte. Und weil du dich von ihm so hast einschüchtern lassen, dass er keinen Respekt mehr vor dir hatte, nur eine kleine Verachtung. Wir müssen warten, bis er wiederkommt.«
    »Aber Sabine hat doch gesagt, du wüsstest, wo er ist.«
    »Das hat er nur gesagt, um dich zu beruhigen«, sagte Sabine. »Papa weiß nicht, wo er ist. Aber Harald wollte immer nach München. Wenn heute einer abhaut, geht er nach München. Das ist so Usus.«
    »Dann fahre ich mit der Bahn nach München und hole ihn«, sagte Maria kläglich.
    Horstmann wurde wütend. »Du hast es nicht begriffen. Der Junge ist enttäuscht von uns und hat die Chance genutzt, die ich ihm mit dem Scheck gab. Bei unserem scheißbundesdeutschen Licht betrachtet, ist das ein strafrechtlicher Tatbestand. O ja, wir Deutschen sind ja so herrlich gründlich! Wenn man als Vater versagt und als Mutter versagt, und wenn das Kind sich angeekelt abwendet, Geld klaut und davonläuft, dann nennen wir das einen strafrechtlichen Tatbestand. Wir wagen nicht, uns einzugestehen, dass wir essind, denen man bis zur Bewusstlosigkeit den nackten Hintern versohlen sollte.« Er stand auf und begann hin- und herzulaufen, und er dachte, dass es gut und heilsam sein könnte, endlich alles zu sagen, was er in so kurzer Zeit hatte aufnehmen und verdauen müssen. Er sagte es, und er starrte dabei durch das Fenster in den Garten. »Wenn du schon auf die Idee kommst«, sagte er abschließend, »einfach in eine Eisenbahn zu steigen, um den Jungen zurückzuholen und dorthin zu verfrachten, wo er unsicher und unglücklich war, dann musste ich dir das alles sagen. Denn dann hast du nicht verstanden, was eigentlich geschehen ist. Nicht die Kinder haben versagt, sondern wir.«
    »Wie lange weißt du das schon alles?«, fragte Maria mühsam.
    »Nicht sehr lange, ein paar Tage vielleicht. Nicht länger.«
    Nun geschah etwas für ihn Seltsames. Er hatte geglaubt, Maria würde weinend zusammenbrechen. Aber nichts geschah. Statt dessen stand sie auf, goss Weinbrand in sein
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