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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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Art Trotzeffekt durchleben und ein wildes Schwein sein. Und wenn dann so ein langhaariges Biest sagt: »Der ist pervers«, hätte ich einen Stempel auf der Arschbacke.
    Diese Zeit ist verflucht kompliziert, außer vielleicht für eine gewisse Sorte von Politikern, die das heile Leben predigen, obwohl es so etwas gar nicht geben kann. Goethe hätte nicht schreiben können, wäre sein Leben heil gewesen. Und Michelangelo hätte niemals gemalt. Otto Hahn hätte kein Atom gespalten, und dieser von Braun keine Menschen zum Mond geschossen. Ihr Leben kann gar nicht heil gewesen sein. Irgendwo habe ich gelesen, dass große Ideen in Zeitender Not geboren werden, niemals von Menschen mit fettem Bauch und unter Rülpsen.
    Du lieber Himmel, es ist doch so. Aber wer will schon Sorgen haben? Die Politiker wollen, dass wir Sorgen haben. Und sie wollen es nur, um trösten zu können, um überhaupt etwas versprechen zu können. Dieser Henrichs zum Beispiel, dieser kleine miese Kaffer von den hiesigen Christlichen, das ist so ein Ferkel. Arrogant bis in die Dummheit. Wie hat er doch neulich gesagt? Man müsste sich solche Formulierungen aufschreiben. Ich glaube, es war so: Zum Wohle des Volkes treiben wir Opposition. Das Volk soll in einer gerechten Weise behandelt sein. Es kann nicht angehen, dass die Bundesregierung Millionen in Entwicklungsländer stopft und wir hier nicht genügend Altersheime bauen können. Dann machte dieser Henrichs einen Schlenker, einen sehr beliebten Schlenker: »Aber meine Partei hat in vielen Jahren in der Regierung bewiesen, dass wir imstande sind, eine gute Welt, eine Welt mit Zukunft aufzubauen.« So ähnlich war es gewesen.
    Es gab viele Leute, die bereit waren, Männer wie Henrichs zu salben und zu ölen und zu sagen: Mit dem Mann da sind wir sicher. Und Henrichs würde ölig seiner Frau sagen: Die sind so ruhig im Land, dass sie nicht einmal merken, wenn Russland uns den Krieg erklärt oder wir eine Inflation bekommen. Dann werden sie ein bisschen meckern, aber ich werde ihnen sagen: »Seht her, das habt ihr von dieser Regierung! Und beim nächsten Mal wäre ich wieder dran. So ist das, meine Liebe.«
    Horstmann warf die Zigarette in den Wassereimer und zog sich die Krawatte zurecht. Er war selbstkritisch genug, sich einzugestehen, dass er recht wirr und nicht sehr konsequent gedacht hatte.
    Er schloss die Tür seines Labors ab und ging schnell den vollkommen mit Fliesen ausgelegten Korridor mit den eingeschobenen stählernen Feuertüren hinunter.
    Im Konferenzzimmer waren die übrigen zehn schon um den Chef versammelt. Auch Ocker war da. Er hatte wie üblich einen Stuhl für Horstmann freigehalten und flüsterte: »Rauch nicht, der Alte hat einen Kater.«
    Horstmann nickte und setzte sich. Er schlug die Mappe auf, die er mitgebracht hatte, und konzentrierte sich auf seine letzten Ergebnisse in der Entwicklung eines von Barbituraten freien Schlafmittels.
    »Die Forschungsabteilung ist beisammen«, sagte der Chef. Er hatte ein vollkommen nichtssagendes Gesicht. Er war Kaufmann, nicht Chemiker. Und er sagte niemals: »Wir haben uns hier versammelt« oder »Wir sind jetzt vollzählig«. Er sagte immer nur: »Die Forschungsabteilung ist beisammen.« Er sagte dies, seit er sich vor fünf Jahren ein Sommerhaus bei Oberammergau gekauft hatte.
    Horstmann blickte hoch und sah die ihm vertrauten Gesichter. Er fand ihren Anblick fade, Sie trugen alle einen grauen Anzug, eine dunkle, ganz sanft quergestreifte Krawatte, und sie schwitzten alle. Wahrscheinlich waren die meisten von ihnen vorher in der Toilette gewesen und hatten sich irgendein Deodorant unter das Jackett gesprüht. Es war so ihre Art, sauber und keimfrei zu sein.
    »Doktor Horstmann, wie weit sind Sie mit dem Mittel?«
    Horstmann, der wegen seiner schweigsamen Freundlichkeit immer den Vorzug genoss, als Erster gehört zu werden, und der genau wusste, dass der Chef knappe und verständliche Informationen wollte, antwortete lapidar: »Über den rein chemischen Bereich hinaus habe ich die Tierversuche erfolgreich abgeschlossen. Ich habe Rhesusaffen verwendet.Erfolg: hundert Prozent. Das Mittel ist frei für die klinische Erprobung.«
    »Danke«, sagte der Chef. »Irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen bei dem Mittel?«
    »Keine«, sagte Horstmann. »Ich habe mich betrunken und eine vierfache Dosis genommen. Resultat vollkommen negativ. Keinerlei Beschwerden hinterher. Möglich, dass bei lebergeschädigten Patienten gewisse Entgiftungsvorgänge gestört
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