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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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Sinn für Schönheit offenbarte. Hannahs Angst ließ nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr hier irgendeine Gefahr drohte. Als Joseph seine Tochter dort neben dem leise plätschernden, von Efeu umrankten Brunnen stehen sah, trat er aus dem Kontor.
    Joseph ben Yehiel hatte den Hof und das ganze Haus nach den uralten geomantischen Regeln der Harmonie bauen lassen, als einen Ort des Friedens und zugleich der geistigen Anregung und Inspiration. Aber er wusste, dass nichts in dieser Welt unzerstörbar war. Besorgt ging er Hannah entgegen und umarmte sie. »Was ist geschehen, meine Tochter, meine schöne Taube? Du siehst bedrückt aus.«
    Sie erzählte, was sie am Hafen gehört hatte.
    »Radulf«, wiederholte Joseph den Namen leise.
    Dann schaute er seiner Tochter fest in die Augen und sagte mit jener ruhigen, welterfahrenen Stimme, die ihr stets große Zuversicht einflößte: »Solche Hassprediger, die an die niedrigsten Gefühle im Volk appellieren, gibt es leider immer wieder. Wenn so einer nach Köln käme, wäre das in der Tat besorgniserregend. Aber noch wissen wir nicht, ob das wirklich geschieht. Außerdem haben wir in Erzbischof Arnold einen starken Freund. Er garantiert für unsere Rechte. Wir müssen auf Gott und unsere Klugheit vertrauen und dürfen uns nicht durch Furcht lähmen lassen. Furcht ist immer ein schlechter Ratgeber.«

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    R auch brannte ihm in den Augen. Er kauerte hinter einem Holzfass, dessen übler Fischgeruch sich mit dem beißenden Gestank mischte, den der Wind herüberwehte. Er zitterte am ganzen Körper und betete, dass ihn niemand sah. An einem Pfahl über einem niedergebrannten Scheiterhaufen hing der vom Feuer verzehrte, noch rauchende Körper eines Kindes. Daneben ragte ein weiterer Pfahl in den Himmel. Sie hatten eine junge Frau daran gefesselt, aber noch kein Feuer an das zu ihren Füßen aufgeschichtete Holz gelegt. Sie, das war ein nebelhaftes Gewimmel von Männern – scharrende, trampelnde Füße, schrille, wütende Stimmen. Körper, die wie in einem wahnsinnigen Tanz hin und her wogten, brutal zupackende Hände.
    Sie hatten die Frau gezwungen, den grausigen Tod des Kindes mit anzusehen. Ihr bleiches Gesicht erschien ihm unwirklich schön, mit grünen Augen, in denen alles Leid einer Welt flackerte, die gewiss bald gerichtet werden würde. Für einen Moment war es ihm, als seien diese Augen alles, was er in seinem Versteck hinter dem Fass sah, grüne Seen, unergründlich tief, doch ohne Tränen, trotz der Trauer, die diese Frau empfinden musste.
    Dann kamen die Männer mit den Fackeln, schemenhafte Gestalten, Schatten des Todes. Als der Scheiterhaufen unter ihren nackten Füßen in Flammen aufging, fing die Frau an zu sprechen, mit einer kräftigen Stimme, die weithin zu hören war. Der Wind schien auf ihrer Seite zu sein und trug ihre Worte bis ins letzte Haus dieses verfluchten Dorfes.
    In seinem Versteck lauschte er, bebend vor Angst. »Oh, möge euer Gott euch Einsicht in die Köpfe blasen! Ihr seid es nicht einmal wert, dass ich euch verfluche. Wenn ihr auch nur einen Funken Ahnung hättet von der Welt, in der ihr lebt wie tumbe Schlafwandler, würdet ihr kein Feuer an mein Fleisch legen. Meiner Seele könnt ihr damit nichts anhaben. Sie wird wiederkehren im Sturm, der das Stroh von euren Dächern weht. Sie wird wiederkehren mit den Wölfen, die eure Gräber schänden, und mit den Ratten, die euch das Getreide wegfressen. Versucht nur, zu verbrennen, wovor ihr Angst habt! Euer Leben wird dadurch um keinen Pfifferling weniger elend sein!«
    Die Flammen züngelten fauchend empor, als kämen sie aus den Nüstern eines hungrig erwachenden Drachens. Das schöne Gesicht mit den grünen Augen verschwand hinter einem Schleier aus Rauch. Der Junge zuckte zusammen, als ihn jemand bei den Schultern packte und hochhob. Er war entdeckt worden und glaubte sich dem Tode nah. Doch die Hände, die ihn gepackt hatten, trugen ihn schnell davon. Dieser ganze verfluchte Ort des Schreckens wich immer rascher zurück, zerfloss in der Dunkelheit.
    »Konrad! Konrad, wach auf!« Hände auf seinen Schultern, Hände, die ihn ziemlich heftig schüttelten.
    Er öffnete die Augen und sah Matthäus' rundes, besorgtes Gesicht. »Du hast dagelegen wie tot! Wieder einer deiner Träume? Rasch, die ganze Laudes hast du verschlafen! Abt Balduin wäre sehr wütend auf dich gewesen, aber dem Prior sind solche Dinge ja egal. Er hat uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Komm, wir sollen uns alle im
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