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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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sagte der Kapitän. »Unser Herr hat Euch bestimmt nicht mit so viel Klugheit und Anmut ausgestattet, damit Ihr Euer Dasein hinter den beschaulichen, aber doch – mit Verlaub – auch recht engen Mauern des jüdischen Viertels fristet. Bei den Bärten aller Kölner Kapitäne, Ihr werdet die weite Welt sehen!«
    »Habt Ihr denn die von meinem Vater sehnsüchtig erwartete Ware mitgebracht?«, fragte Hannah.
    Helmbrecht seufzte theatralisch. »Euer Vater scheint wirklich den Ehrgeiz zu haben, mit seiner privaten Sammlung selbst die sagenhafte Bibliothek Alexandriens an Größe übertreffen zu wollen. Entschuldigt mich einen Moment.« Er verschwand unter Deck und kehrte mit einem sorgfältig in ein Tuch gewickelten Folianten zurück. Es handelte sich um ein im Vergleich zu manchen anderen Werken in der väterlichen Bibliothek verhältnismäßig kleines und leichtes Buch, das Hannah recht gut tragen konnte.
    Begleitet von Kapitän Helmbrechts besten Wünschen und Grüßen an ihren Vater machte sich Hannah auf den Rückweg. Mit fiebriger Ungeduld fragte sie sich, was für eine literarische Kostbarkeit ihr Vater da wohl für sie aus Lissabon hatte kommen lassen. Die Versuchung, einen Blick in das Paket zu werfen, war groß, aber sie konnte ihr widerstehen. Wenn Hannah etwas versprach, dann hielt sie sich auch daran.
    Als sie sich zusammen mit vielen anderen Leuten dem Markttor näherte, blieb sie stehen, drehte sich um und wollte noch einmal den freien Blick auf den Fluss und das weite Land außerhalb der Mauern genießen. Da bemerkte sie dicht bei sich zwei jüdische Kaufleute, die vor einer Weinstube standen und die Köpfe zusammen steckten. Obwohl sie sehr leise sprachen, konnte Hannah hören, dass sie über den Hassprediger sprachen. »Ihr habt ihn selbst gesehen?«, sagte der eine.
    Der andere nickte. »In Mainz, vor kurzem erst. Glaubt mir, er ist eine Geißel für unser Volk. Einen schlimmeren Hassprediger gab es noch nicht.«
    »Er zieht mit seinen Leuten den Rhein hinab und sät Hass, wo immer er auftaucht«, sagte der eine Kaufmann.
    »Radulf … schon der Name klingt mir unerfreulich in den Ohren«, erwiderte der andere. »Sollte mich nicht wundern, wenn die christlichen Patrizier ihm ein fettes Handgeld dafür zahlen, dass er nach Köln kommt und hier ein Blutbad anzettelt. Denen ist doch jedes Mittel recht, um uns aus dem Weg zu räumen und so die jüdische Konkurrenz loszuwerden.«
    »Ich fürchte, schon bald werden hier wieder unsere Häuser brennen«, sagte sein Gesprächspartner. »Jetzt, wo Papst Eugen zu einem neuen Kreuzzug gegen die Heiden aufgerufen hat, fällt die Botschaft dieser Hassprediger überall auf fruchtbaren Boden. Wir Juden sind die bösen Christusmörder – warum also nicht den Kreuzzug gleich hier im Rheinland beginnen? Und schon marschieren die Mordbrenner wieder los, genau wie vor fünfzig Jahren.« Er zeigte auf die Weinschenke. »Ein guter Grund, im Wein Vergessen zu suchen.«
    Radulf – der Name klang wirklich unangenehm. Jetzt hatte Hannah es eilig, nach Hause zu kommen. Hatte ihr Vater das gemeint, als er sagte, in der Stadt braue sich etwas zusammen?
    Eine Angst regte sich tief in ihr, die unterschwellig immer da gewesen war und nie völlig verschwinden würde. Vor fünfzig Jahren hatte es in Köln ein schreckliches Pogrom gegen die Juden gegeben. Fünfzig Jahre waren eine lange Zeit, fast das Dreifache von Hannahs bisherigem Leben. Damals waren die Juden nach den Ausschreitungen in die Stadt zurückgekehrt und hatten alles, was niedergebrannt worden war, wieder aufgebaut, größer und schöner als zuvor. »Wir kehren immer wieder zurück«, hatte ihr Vater einmal zu ihr gesagt. Es klang trotzig, aber auch wehmütig. »Und eines Tages wird der Hass ein Ende haben.«
    Ganz in Gedanken versunken, ging Hannah zurück zum Heumarkt. Auf einer kleinen Freifläche zwischen den Ständen der Kunsthandwerker hatte sich eine Menschentraube gebildet. Es gab hier immer Gaukler und Artisten, die mit ihren Späßen und Kunststücken die Marktbesucher unterhielten, in der Hoffnung, dass eine Mahlzeit oder sogar die ein oder andere Münze aus den prallgefüllten Börsen der Kaufleute für sie abfiel.
    Trotz des Unbehagens, das durch das Gerede der beiden Kaufleute in Hannah geweckt worden war, blieb sie einen Moment stehen. Zwei ausgemergelte, zerlumpte Männer schickten sich an, einen Tanzbären vorzuführen. Einer der Männer hielt zwei Ketten in den Händen. Diese Ketten waren an Eisenringen
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