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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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viel von der Welt gesehen hatte. Jedenfalls deutete Konrad sein Verhalten so. »In diesem stillen Tal kann auch ein Mann mit kleinem Verstand und kleinem Herzen fromm sein«, fuhr Anselm fort, mit diesem überheblichen, spöttischen Unterton in der Stimme, den Konrad nicht mochte.
    »Wie … wie könnt Ihr denn so schlecht über einen Toten sprechen?«, stammelte Konrad.
    Der Prior hatte sich schon oft unmöglich benommen und es sogar gegenüber Balduin an Respekt fehlen lassen. Doch nun verschwand das kühle, überlegene Lächeln aus Anselms Gesicht. »Wahrscheinlich glaubst du, ich hätte Balduin nicht gemocht«, sagte er. »Aber da irrst du dich. Auf seine Weise war der alte Dickkopf kein schlechter Kerl. Er hat seine Sache als Abt sehr ordentlich gemacht. Aber sich ständig gegen die Welt draußen zu sperren, ist der falsche Weg.«
    Der Prior legte Konrad für einen Moment die Hand auf die Schulter. »Gräme dich nicht. Balduin ist alt und lebenssatt gestorben. Er hat sein Leben so gelebt, wie er es für richtig hielt. Du aber solltest nach vorn schauen. Du bist hier fast nur von alten Männern umgeben, die nichts mehr vom Leben erwarten. Das ist nicht gut für einen aufgeweckten jungen Kerl wie dich, glaub mir das.«
    Dann wies er Konrad an, bei dem Toten zu wachen. »Ich will derweil unsere Schäfchen zusammenrufen und ihnen das Unvermeidliche mitteilen.« Keineswegs demütig, sondern stolz und aufrecht wie ein Ritter auf dem Weg zum Turnierplatz ging er hinaus und ließ Konrad mit dem Leichnam allein.
    Zögerlich setzte sich Konrad an das Bett des Abtes. Er streckte vorsichtig die Hand aus und berührte Balduins faltige Wange. Sie war noch warm vom Fieber. Oft hatte Balduin ihm das Leben schwergemacht mit seiner biblischen Strenge. Doch dann hatte er auch wieder eine sanfte, geradezu zärtliche Güte zeigen können, nicht nur Konrad, sondern auch allen anderen Klosterbrüdern gegenüber. Er war gerecht gewesen, so wie es seiner Pflicht als Abt entsprochen hatte, und nie hatte er irgendjemanden bevorzugt. Konrad war sicher, dass der Abt ihn und seine anderen Anbefohlenen auf seine Art geliebt hatte, so wie es nur wirklich Fromme und Heilige vermochten. Und immer hatten sie auf ihn zählen können. Er hatte das Kloster mit fester Hand geführt und immer für jedes Problem eine Lösung gefunden. Jetzt musste Konrad weinen. »Was soll nur werden ohne Euch, Bruder Abt?«, stammelte er leise und fühlte sich sehr allein.

H ANNAHS A NGST
    A ls Hannah vor der Tür des väterlichen Handelskontors stand, hielt sie erst einen Moment inne, dann trat sie ein. Sie liebte die Atmosphäre des Kontors, den Umgang mit Abakus und Warenrollen, den Duft der großen weiten Welt. Hannahs Vater, Joseph ben Yehiel, blickte lächelnd von seinem Schreibpult auf. Er war ein stets gutgekleideter, würdevoller Mann mit einem gepflegtem weißen Bart. Auch wenn das Alter ihn zu beugen begann, strahlte er noch immer eine große Autorität aus.
    »Ich wollte fragen, ob ich mich irgendwie nützlich machen kann«, sagte Hannah. In letzter Zeit bereitete ihr die Gesundheit des Vaters Sorgen. Seine früher stets unerschöpflich scheinenden Kräfte ließen nach. Und so half Hannah, wo sie konnte.
    »Das Schiff von Kapitän Helmbrecht ist heute angekommen«, sagte Joseph. »Eigentlich wollte ich selbst zum Hafen, um meinen alten Freund zu begrüßen. Denn er bringt uns ein neues seltenes Exemplar für die Bibliothek mit. Aber ich erwarte gleich einen wichtigen Geschäftspartner und bin dadurch im Kontor festgehalten. Suche doch mal im Haus nach unseren Dienern. Einer von den beiden soll zum Hafen gehen.«
    »Kann ich das nicht für Euch übernehmen, Vater?«
    Joseph wiegte den Kopf hin und her. »Ich habe das Gefühl, dass die Stimmung in der Stadt im Moment nicht gut ist. Irgendetwas braut sich zusammen.«
    Es wunderte Hannah, dass ihr Vater so etwas sagte. Normalerweise hatte er nichts einzuwenden, wenn Hannah für ihn Besorgungen in der Stadt erledigte.
    »Ihr wisst doch, wie gerne ich zum Hafen gehe«, bat sie. »Ich werde gut auf mich achtgeben. Das verspreche ich.«
    Joseph lächelte. »Ach, meine Hannah! Wenn du mich so anschaust, kann ich dir keinen Wunsch abschlagen, das weißt du genau. Also gut. Du bist inzwischen erwachsen und warst schon oft allein am Hafen. Ich sollte Zutrauen in deine Vorsicht haben. Aber da ist noch etwas: Das Buch, das Helmbrecht mir besorgt hat, ist ein Geschenk für dich.«
    »Oh!«
    »Und ich möchte zu gerne
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