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Das Flüstern der Albträume

Das Flüstern der Albträume

Titel: Das Flüstern der Albträume
Autoren: Mary Burton
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Prolog
    Samstag, 1. April, Mitternacht
    Klebeband dämpfte das heisere Stöhnen der Frau, während eine vermummte Gestalt die Glut im Ofen schürte. Seit sie bei Bewusstsein war, schrie und kämpfte die Frau, in der Hoffnung, ihren Kidnapper auf sich aufmerksam zu machen. War es eine Stunde her, dass sie aufgewacht war? Zwei Stunden? Hier unten in ihrem Kellergefängnis verrann die Zeit wie tropfendes Wasser aus einem undichten Rohr.
    So laut sie auch schrie oder mit den Ketten auf den Steinboden schlug, nichts lenkte die schattenhafte Gestalt von den hungrigen, zuckenden Flammen ab, die an den Holzscheiten in dem alten Ofen leckten. Scheit um Scheit fütterte ihr Kerkermeister die Flammen, wie eine zärtliche Mutter, die ihr Kind nährt, und schaute nicht ein einziges Mal zu ihr herüber. An diesem muffigen Ort war sie unsichtbar, unbedeutender als der dreibeinige Stuhl in der dunklen Ecke oder die Müllsäcke, die neben der morschen Treppe gestapelt waren.
    Der harte, unebene Steinboden, auf dem sie lag, ließ ihre Rückenmuskulatur verkrampfen und ihre Haut taub werden, und langsam wurde ihr klar, dass es kein Entkommen gab. Sie würde sterben.
    Die Frau schloss die Augen. Das laute Pochen ihres Herzens mischte sich mit dem Knistern des Feuers und dem metallischen Klirren des Schürhakens gegen den Rost, auf dem die Holzscheite lagen. Von klein auf hatte man ihr gesagt, dass sie Glück und ein erfülltes Leben nicht verdiente. Böses Mädchen. Du bist ein böses Mädchen. Ihr Leben lang hatte sie sich dagegen aufgelehnt und sich hemmungslos genommen, was sie nur konnte – um zu überleben, aber auch, um zu gewinnen. Aber vielleicht stimmte die düstere Botschaft ja, die man ihr seit der Wiege eingetrichtert hatte. Mit bösen Mädchen nahm es immer ein schlimmes Ende.
    Wie eine dunkle Gewitterwolke stieg Verzweiflung in ihr auf, schnürte ihr die Kehle zu und verlockte sie, aufzugeben. Es wäre so einfach, sich in ihr vorherbestimmtes Schicksal zu fügen. So leicht, die Augen zu schließen und sich von der Dunkelheit zudecken zu lassen.
    Sie trieb auf den Abgrund zu, bereit, sich ihrem Schicksal zu überlassen, doch ein instinktiver Überlebenswille riss sie im letzten Moment zurück.
    Nein! Du willst leben! Du verdienst es zu leben!
    Sie öffnete die Augen und sah zu ihrem Kidnapper hinüber. Er war gar nicht so groß. Er wirkte gar nicht so stark. Oder so böse. Vielleicht konnte sie einen kleinen Keil der Vernunft durch seine eiskalte Schale treiben und ihn dazu bringen, Mitleid zu empfinden.
    Sie nahm all ihre verbliebenen Kräfte zusammen, schrie und strampelte, aber sein Blick bewegte sich nicht vom Feuer weg.
    Gott, was hatte er vor? Was mochte er mit ihr im Sinn haben? In ihrer Fantasie malte sie sich die schlimmsten Szenarien aus, und die aufsteigende Panik entfachte ihren Kampfgeist von Neuem.
    Bitte, Gott, hol mich hier raus. Tausend Versprechungen, Schwüre und Vorsätze jagten ihr durch den Kopf, während sie mit Gott verhandelte.
    Und dann kam das Wunder – ein dumpfer Knall im Stockwerk über ihr. Das Geräusch drang durch den Strom ihrer Schwüre. Sie drehte den Kopf zu der morschen Treppe, die nach oben führte. Jemand war gekommen! Ihr Herz schlug schneller und lauter, und ihr Magen zog sich so fest zusammen wie eine Stahlfeder.
    Sie schaute zu ihrem Kidnapper und forschte nach einem Hinweis in seiner Körperhaltung. War der Neuankömmling dort oben gut oder böse? Hatte dieser Mistkerl einen perversen Freund, der sich zu ihnen gesellen würde? Oder hatte sie einen Retter?
    Seine schmalen Schultern versteiften sich, und die Art, wie er ruckartig den Kopf zur Tür wandte, verriet ihr, dass es kein geladener Gast war.
    Hoffnung machte sich in ihr breit. Vielleicht hatte jemand gemerkt, dass sie entführt worden war.
    Oh Gott. Oh Gott. Bitte schick jemanden, der mich rettet!
    Sie riss an ihren Fesseln und schrie. Gedämpft drang ihr Flehen durch das Klebeband.
    Die Sonnenbrille und die Kapuze verbargen das Gesicht des Mannes weitgehend, doch sie erhaschte einen Blick auf einen struppigen Bart, als er den Schürhaken bedächtig ablegte und die Stufen zum Erdgeschoss hinaufstieg. An der Kellertür schloss er ein glänzendes, neues Vorhängeschloss auf, öffnete die Tür und machte sie hinter sich wieder zu.
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie angestrengt lauschte. Über ihr knarrte die Decke, während ihr Kerkermeister auf der Suche nach dem Eindringling das Erdgeschoss
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