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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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eintrifft, führt er das Kloster.«
    »Wann wird das sein?«, fragte Matthäus, der sich in seiner neuen Rolle sichtlich unwohl zu fühlen schien.
    »Der Brief ist noch nicht zu Ende«, sagte Anselm. »Lies weiter, Konrad.« Wieso wurde Anselm nach nur vier Monaten schon wieder aus dem Kloster abberufen? Konrad war jedenfalls sicher, dass die Mönche ihn nicht vermissen würden.
    »Nun, weiter heißt es: Der ehrwürdige Bruder Gilbert ist, wenn ihr diesen Brief erhaltet, bereits von Köln aus unterwegs auf die Wolkenburg, um unserem dortigen Burgvogt Rainald seine Aufwartung zu machen. Da Bruder Gilbert mit den Örtlichkeiten nicht vertraut ist, ordnen wir hiermit an, dass euer neuer Bruder Prior ihn auf der Wolkenburg abholen soll, und zwar am 20. März.«
    Konrad blickte auf. Matthäus erbleichte und stöhnte kopfschüttelnd: »Ich soll auf die Wolkenburg? Und der 20. März? Das ist ja schon in drei Tagen!«
    Der Brief war immer noch nicht zu Ende. Als Konrad weiterlas, stockte er mitten im Satz und konnte kaum glauben, was dort stand: »Des Weiteren verfügen wir, dass der Novize Konrad ihn als Gehilfe begleiten soll, was für den jungen Mann gewiss eine lehrreiche Erfahrung sein wird.«
    Mit diesen Worten endete der Brief. Als Konrad hörte, wie die Mönche die Köpfe zusammensteckten und miteinander tuschelten, merkte er plötzlich, dass seine Ohren heiß wurden. Wie war das möglich, dass der Erzbischof ausgerechnet ihn erwähnte? Es schien ihm undenkbar, dass sich außerhalb des Klosters irgendjemand für ihn interessieren könnte, wo er doch nur ein völlig unbedeutender Novize war – noch dazu ein Findelkind von unbekannter und, wie meistens in solchen Fällen, zweifelhafter Herkunft.
    Anselm von Berg löste ihre Versammlung auf, was seine letzte Amtshandlung als Prior war. Seltsamerweise wirkte er geradezu erleichtert, als sei eine Bürde von ihm abgefallen. Und Konrad hatte immer geglaubt, dass er seine Machtposition genoss.
    Beim Hinausgehen bemerkte Konrad deutlich, wie einige Mönche ihm neidische Blicke zuwarfen. Anselm dagegen gab ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter, was er noch nie getan hatte.

E INE F RAGE DES G LAUBENS
    N ach dem Verlesen des erzbischöflichen Briefes wandten sich die Mönche ihren täglichen Aufgaben zu. Konrad musste bei Fulbert im Skriptorium eine Predigt des berühmten Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux kopieren. Doch so sehr er sich auch um Konzentration bemühte, immer wieder schweiften seine Gedanken ab. Erzbischof Arnold I. hatte sich während seiner bislang achtjährigen Amtszeit noch nie aus dem fernen Köln hierher verirrt. Konrad hätte es daher nicht einmal für möglich gehalten, dass der Bischof überhaupt seinen Namen kannte.
    Auf einmal bemerkte er, dass Fulbert hinter ihm stand und ihm über die Schulter schaute. »Konzentration, bitte!«, sagte der Bibliothekar streng. »Es ist eine große Ehre, dass der Herr Erzbischof dich ausgewählt hat, Matthäus auf die Wolkenburg zu begleiten. Vergiss aber nicht, dass ein guter Mönch lernen muss, sich in Bescheidenheit und Demut zu üben.«
    Konrad fühlte sich ertappt und richtete seine volle Aufmerksamkeit schuldbewusst wieder auf die Textstelle, die er gerade abschrieb. Darin befasste sich der Kirchenlehrer aus Clairvaux mit dem Eigendünkel, den er als schlimmstes Laster des Menschen betrachtete. Bernhard verglich den menschlichen Eigenwillen mit einem scheußlichen alten Weib. Surgit igitur, schrieb Konrad ab, vetula fracto sinu, nudo pectore, pruriente scabie, sanie defluente, procedit frendens dentibus, spirans minarum et dirum toto pectore virus exhalans . – »Da steht die Alte auf, mit zerbrochenem Schoß und nackter Brust. Es juckt sie der Aussatz und Geifer tropft herab. Mit gefletschten Zähnen stürzt sie heran, Drohungen keuchend und aus ganzer Brust ekliges Gift schnaubend.«
    Bernhard warnte vor eitlen Genüssen, die den Menschen vom Gaumen bis zu den Schamteilen in Versuchung führten, wogegen auch die Vernunft nichts ausrichten könne. Die Glieder des Leibes seien Fenster, durch die der Tod in die Seele dringe. Als Fulbert sich hinter sein eigenes Schreibpult zurückgezogen hatte und die Federkiele wieder gleichförmig über die Pergamente kratzten, gingen Konrads Gedanken unwillkürlich erneut auf Wanderschaft. Die Wolkenburg – Konrad war noch nie dort gewesen. In letzter Zeit hatte Konrad den bisherigen Prior und Matthäus öfter begleiten müssen, wenn sie bei den Bauern auf
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