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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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dem Land Abgaben eintrieben oder auf dem Markt in Neuwerth etwas zu besorgen war. Doch noch immer war die Welt, die Konrad außerhalb der Klostermauern kannte, sehr klein und maß kaum einen halben Tagesmarsch in jede Richtung.
    Die Wolkenburg kannte er nur aus den Schilderungen der anderen Mönche. Gut anderthalb Tagesmärsche flussabwärts erhob sie sich über die runden, bewaldeten Bergkuppen des Siebengebirges. Friedrich I. von Schwarzenberg, einer der Vorgänger Arnolds im Amt des Erzbischofs, hatte sie bauen lassen, um die Grenzen des Erzbistums nach Süden zu sichern und den Rheinreisenden die Macht der Kölner Erzbischöfe vor Augen zu führen. Sie war eine der größten Burgen am Rhein, und ihr Bergfried reichte angeblich bis in die Wolken – daher der Name. Einst hatte der nun bereits verstorbene Ottokar von Falkenstein das Vogtamt von Friedrich I. erhalten. Ottokars Ruf war tadellos gewesen, doch über seinen Sohn Rainald, den jetzigen Burgvogt, wurde hinter vorgehaltener Hand allerlei Merkwürdiges erzählt. Seit er auf der Wolkenburg herrschte, verkehrte dort angeblich sonderbares Volk – Häretiker, die die kirchliche Lehre öffentlich in Zweifel zogen; aber auch finstere Menschen aus den riesigen Waldgebieten im Osten sollten dort Unterschlupf gefunden haben. Angeblich stammte die Frau des Burgvogts von dort. Es hieß, sie sei eine gefährliche Zauberin von betörender Schönheit, und alle Leute auf der Burg seien verhext und stünden unter dem Bann dieser Frau.
    Die endlosen Wälder östlich des Rheins galten bei den Menschen in Neuwerth und auf den Dörfern ringsum als verwunschenes Land, wo geheimnisvolle Gefahren lauerten. Niemand wagte sich freiwillig dort hinein. Immer wieder hörte man Geschichten von den wilden Leuten, Barbaren aus alter Zeit, die, nur mit Tierfellen bekleidet, tief in den Wäldern hausten. Diese Waldmenschen leugneten den christlichen Glauben und beteten heidnische Dämonen an, denen sie vorzugsweise das Blut getaufter Christen opferten. So verwunderte es nicht, dass von den wenigen, die sich in diese Gegend vorwagten, kaum einer zurückkehrte. Und wer doch zurückkam, schürte mit dunklen Erzählungen die Ängste der Daheimgebliebenen.
    Zwar hatte Balduin solche Ängste als Aberglauben gegeißelt und gesagt: »Ein wahrer Christ braucht nichts und niemanden zu fürchten, denn er ruht geborgen im Herrn.« Aber die wilden Leute verfolgten Konrad gelegentlich sogar bis in seine ohnehin schon schrecklichen Träume – als bluttrinkende fratzenhafte Gestalten mit zottigen Bärten und verfilzten Haaren, halb Tier, halb Mensch, die kehlige, unverständliche Laute ausstießen und mit großen, klauenartigen Händen nach ihm griffen, um ihn für ihre grausigen Opferrituale zu töten.
    Und doch – die Wolkenburg einmal mit eigenen Augen zu sehen, wenigstens aus der Ferne … Vielleicht sogar die große Stadt Köln zu sehen, durch ihre Gassen zu laufen …
    Für Balduin waren alle Städte Orte der Verderbnis und des Lasters gewesen. Die Mönche, so hatte er ihnen oft gepredigt, sollten am besten im Kloster das Ende der Zeit erwarten, ohne dort draußen, in einer Welt, über die Gott schon bald richten würde, noch irgendetwas zu erhoffen und zu ersehnen.
    Konrad versuchte, sich zu konzentrieren, um nur ja beim Kopieren keinen Fehler zu machen. Unablässig zeichnete sein Federkiel Buchstaben aufs Pergament, zwischendurch spitzte er sein Schreibinstrument mit dem Radiermesser. Währenddessen war Fulbert am anderen Pult mit einem Evangeliar beschäftigt, das ein wohlhabender Bürger aus Bonn in Auftrag gegeben hatte. Solche Aufträge waren für das Kloster eine wichtige Einnahmequelle, allerdings auch eine seltene. Insgeheim verglich Konrad manchmal Fulberts strenge, wenig farbenfrohe Buchmalereien mit den Evangeliaren und Büchern der Kirchenväter in der Bibliothek. Dann dachte er, dass er selbst es besser machen könnte, er würde mehr Farben, mehr Schwünge und Bögen, Blumen, Greife und andere Fabelwesen hineinmalen, aber Fulbert ließ ihn bislang nur schlichte Briefe kopieren.
    »Hat man je eine langweiligere Bibliothek gesehen als diese hier?«
    Konrad zuckte unwillkürlich zusammen, als dicht hinter ihm Anselms kräftige Stimme ertönte. Er hatte den ehemaligen Kreuzritter nicht kommen hören. Anselm konnte sich trotz seiner stattlichen Gestalt fast lautlos bewegen und hatte Konrad schon einige Male erschreckt. Er drehte sich um und sah, wie Anselm den Bibliothekar spöttisch
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