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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Autoren: Alexander Röder
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Lewis’ Wortschatz nicht mehr ausreichte, um auch nur annähernd zu folgen – wenngleich sich etwaige Inhalte durch Gesten des Kutschers unmissverständlich erschlossen –, hatte er bei der nächsten Rast Müdigkeit signalisiert, und müde war er allerdings nach dieser Reise quer durch all die deutschen Fürstentümer und Grafschaften, an deren Grenzen er sich wieder und wieder deklarieren musste. Ganz zu schweigen von den beängstigenden Kontingenten blaugewandeter preußischer Soldaten, die nach Westen, in Richtung Frankreich zogen und sich in den Wirtshäusern nicht sonderlich preußisch diszipliniert verhielten.
    Gottlob hatte er bei solcherlei Begegnungen unmissverständlich klarmachen können, dass er Engländer, nicht Franzose sei, auch wenn seine recht elegante Kleidung dies hätte vermuten lassen können. Eine Verwechslung wäre ihm sicher schlecht bekommen.
    Bei dieser Erinnerung trat ihm wieder Schweiß auf die Oberlippe, und er musste erneut das Tüchlein gebrauchen. Dann steckte er es mit schwungvoller Bewegung in den Ärmelaufschlag seines Rockes zurück und stutzte. Sicher waren es solche Verhaltensweisen, die ihn in rauerer Umgebung in Bedrängnis brachten. Er seufzte und räusperte sich. Seine Stimme war gar zu hell geraten. Das musste er ändern. Vielleicht würde ihm diese schrecklich harte deutsche Sprache dabei helfen. Herrzzlichchen Dannkk. Er nahm seine Papiere wieder auf und sah auf die wippenden Blätter und tanzenden Schriftzeichen.
    Einige Zeit zuvor waren die eisenbeschlagenen Räder des Wagens vom Staub der Landstraße auf das Kopfsteinpflaster der Weimarer Gassen gewechselt und hatten ein entsetzliches Geklapper veranstaltet. Lewis war es unmöglich, sich seine Notizen einzuprägen, die aus einer auf D eutsch formulierten Begrüßungsansprache für seinen Gastgeber bestanden. Seinem Vater, der ihn im Herbst des vergangenen Jahres auch nach Paris hatte reisen lassen, um dort Französisch zu lernen, war es in den Sinn gekommen, den Sohn bei einer respektierlichen Person der Weimarer Gebildeten unterkommen zu lassen: Karl August Böttiger, der örtliche Gymnasialdirektor, ja gar Oberkonsistorialdirektor für Schulangelegenheiten. Es schien, als wollte der gewissenhafte Sekretär im britischen Kriegsministerium seinen ältesten Sohn zu gewissenhaften Sprachstudien anhalten, indem er ihn ins Haus eines Lehrers gab.
    Aber hätte es nicht auch Lehrer in Berlin gegeben! Dorthin war er zunächst gereist und hatte einige Zeit verbracht. Der englische Gesandte Sir Norton Eden hatte ihn in die adeligen Kreise eingeführt, und das unbeschwerte Leben mit all den Bällen und Empfängen war äußerst angenehm gewesen.
    Lewis seufzte erneut und blickte den Bürgern und Mägden hinterher, die teils Spazierstöcke, teils Weidenkörbe mit sich trugen, und ließ den Blick an den niedrigen Fassaden der Häuser emporwandern. Weimar. Was war Weimar gegen Berlin? Oder noch deutlicher: gegen Paris? Dort hatte er wundervolle Konversation betrieben, mit der besten Gesellschaft der Stadt in den Salons Tricktrack gespielt, selbst wenn er sein Glück in derlei Dingen nicht allzu oft beansprucht hatte. Er war im Theater gewesen, hatte Dutzende glanzvoller Opern erlebt. Von Marsollier und Boutet und ...
    Kaum hatte er sich in Gedanken derart ereifert, kamen ihm auch andere Dinge in den Sinn. Er hatte in Paris beobachten müssen, dass die Revolution an den schönen Künsten nicht spurlos vorübergegangen war. Im aktuellen französischen Theater zeigte sich ein schreckliches Motiv als einer der Favoriten: das des lebendig Begrabenseins. Sicher, das war eine treffende Metapher für die Schändlichkeit der Bastille und in seiner schauerlichen Wirkung auch auf den Bühnenbrettern durchaus publikumsträchtig. Dennoch missfiel Lewis dies ausnehmend. Seine Mutter hatte ihm von klein auf erzählt, wie sehr sie sich genau davor fürchtete. Eingesperrt und vernagelt in der dumpfen Düsternis des hölzernen Sarges. Hinabgelassen in die Erde. Für immer gefangen. Für immer. Für immer ...
    Lewis fuhr sich mit dem Finger zwischen Kragen und Hals, zerrte am Knoten seines Tuches. Die drückende Hitze im Kutscheninneren war plötzlich noch unerträglicher als zuvor. Konnte das Gefangensein im Sarg schlimmer sein? Statt Erdenkühle das Höllenfeuer zu spüren? Er keuchte. Das Fenster! Er riss hektisch die Vorhänge zur Seite – und starrte ins gehörnte Antlitz des Leibhaftigen.
    Schwarze Augen glotzten ihn an, und aus den breiten
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