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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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in aller Eindringlichkeit darauf besteht: Wen man hier sieht. Herr Urspring ist es, den man sieht.
    Herr Urspring, hörte ich es rufen. Es rief aus einem Auto heraus. Das Auto hatte ein offenes Verdeck. Immer mehr Autos kamen hinzu mit offenem Verdeck. Die Rückbänke sahen aus wie Theatersitze. Man saß dort mit ausgebreiteten Armen. Und wehenden Haaren. Oder Kopftüchern. Im Fahrtwind. In die Sonne blinzelnd. Oder zu mir rüberschauend. Herr Urspring. Bitte, Herr Urspring. Fotografierend oder telefonierend. Beteuernd und gestikulierend. Oder alles zusammen. Der Blick auf mich gerichtet, dann wieder der Blick auf die Berge. Herr Urspring! Und es hupten sich die Autos aus dem Weg. Oder drängten sich zur Seite. Autos mit heruntergelassenen Fensterscheiben. Herr Urspring! Verdrängt von Autos mit offenem Verdeck. Herr Urspring! Sich vorbeugende Fragen. Oder sich aus dem Fenster lehnende Fragen. Oder sich zurücklehnende Fragen. Herr Urspring! Dies ging eine Ewigkeit, denn der Berg war endlos lang. Meter für Meter. Kurve für Kurve. Begleitet von Rufen und Fragen. Und Blicken. Und Mutmaßungen. Und Gegenmutmaßungen. Und letzten Serpentinen, die zu der Passhöhe führten. Und ich fuhr einfach nach rechts, auf die alte Passstraße. Sie war für Autos gesperrt. Und ich war plötzlich ohne Autos. Nur noch einige wenige Motorräder folgten. Doch war die alte Passstraße wie eine Rettung. Eine Stille und Abgeschiedenheit, trotz des Hubschraubers, an den ich mich gewöhnt hatte. Und dann war Hannah an meiner Seite. Sie fuhr hinter einem Felsstück hervor. Sie sagte nichts. Sie fuhr einfach an meiner Seite. Als wäre nicht viel geschehen. Und wir sahen ein Schild, auf dem Engadin stand. Auf Deutsch und auf Rätoromanisch. Engiadina. Als ob jetzt alles anders werden könnte. So sah das aus. Wie ein neues Land. Mit einer eigenen Sprache. Und anderen Menschen. Und ich begann Hannah ein wenig zu verstehen. Warum sie gerade hierher wollte. Ich begann das zu verstehen. Es ging nicht mehr bergauf, sondern schon ein wenig hinab. Ohne wirklich steil nach unten zu gehen. Die ersten Meter im Engadin. Auf der alten Passstraße, die uns diese Meter ermöglichte. Exclus cum permis , stand auf einem Schild. Und ich glaubte den Sinn dieses Schildes zu verstehen. Für Autos und Motorräder verboten. Außer mit Genehmigung. Exclus cum permis. Und ich freute mich, das verstehen zu können. Und als die alte Passstraße plötzlich aufhörte, weil sie in die neue Passstraße einmündete, da hätten wir umkehren sollen, um noch ein wenig auf der alten Passstraße zu verweilen, wenigstens ein bisschen – doch wir fuhren weiter. Und Hannah erhöhte das Tempo. Über uns sah man bereits die vielen Autos und Motorräder, die uns folgten. Doch hatten wir einen kleinen Vorsprung. Ein paar wenige, freie, ungestörte hundert Meter: der Blicke auf die Berge und auf uns. Ungebremst. Eine lange Gerade hinab. Fast fliegend. Und für einen kurzen Moment schaute Hannah mich an. Als würde sie sagen: Wir sollten bremsen. Doch sie bremste nicht. Und auch ich bremste nicht. Denn die Straße wirkte gerade. Und die Tiefe weiter vorne schien allgemein. Eine Tiefe, die aus Wiesen und weicher Luft bestand. Und als die Straße eine Kurve machte, fuhren wir geradeaus weiter …
    Das Blau des Himmels, von dem Hannah gesprochen hatte. Ich sah noch dieses besondere Blau – für einige wenige fliegende Sekunden. Und selbst als dieses Blau fortging, oder ich von diesem Blau fortgebracht wurde, sah ich noch Andeutungen dieses Blaus. Ich sah es im Hubschrauber, der mich fortflog, in eine tiefere Gegend. Ich sah es Meter für Meter schwinden. Trotzdem war es immer noch zu erahnen, und ich verstand dieses Blau nun besser. Lange Zeit trug ich es in mir. Oder mit mir. Trotz aller Lampen. Und weißgestrichener Wände. Und farbloser Zimmerdecken.
    Diesmal wusste ich, was ein Sonntag ist. Obgleich man mich gar nicht danach fragte. Man fragte nach anderen Dingen, die mich nicht interessierten. Ich hoffte auf ein Gesicht wie das von Frau Wolkenbauer. Ich hoffte auf ihre Stimme und ihre Fragen. Welchen Tag wir haben? Oder die PIN-Nummer meiner Scheckkarten. Ich hätte ihr das sagen können. Ohne Weiteres. Doch von Frau Wolkenbauer war keine Rede. Auch nicht von Hannah. Ich tastete vergeblich nach ihrer Hand. Im Wechsel von Licht und Dunkelheit. Schlafwachen und Wachschlafen. Tage vergingen hier wie Wochen. Oder vielleicht auch umgekehrt. Bis ich eine Stimme hörte, die ich sogleich
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