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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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unerkennbar. Auch wenn die Helme Farben hatten, an die man sich erinnern könnte, die man weitererzählen könnte. Er rot, sie blau. Ich fragte Hannah, ob wir die Helme vielleicht tauschen sollten? Sie fand das albern. Und wir fuhren weiter.
    Sie ahnte von all dem nichts. Sie wirkte sogar ruhiger als sonst. Sie hatte nur Augen für den Anstieg. Es war nicht irgendein Anstieg, sondern der Anstieg zum Flüelapass. Und sie freute sich auf diesen Pass. Weil er bereits am Horizont zu sehen war. Weil er in 2383 Meter Höhe lag. Weil sie noch nie in ihrem Leben einen solchen Pass gefahren war. Jedenfalls nicht mit dem Fahrrad. Weil sie den Namen des Passes mochte. Flüelapass. Weil auf der Rückseite des Passes das Engadin begann. Sie zeigte es mir auf ihrer Karte. Ich wollte diese Freude nicht stören. Auch weil der Anstieg zu diesem Pass leichter war als erwartet. Auch ich spürte diese Leichtigkeit. Alles schien an diesem Pass freundlich, zuvorkommend und leicht. Ich fragte sie, ob wir nun schon die Hälfte des Passes geschafft hätten? Und sie lachte auf: Nicht einmal ein Zehntel hatten wir geschafft. Sie fuhr fast ausgelassen, immer weiter voraus.
    Ein Motorrad fuhr neben mir, ohne einen Grund. Auf der Rückbank eines Autos sah ich winkende Kinder. Aber auch winkende Mütter. Und irgendwann auch winkende Väter. Und ich klammerte mich an das Bild meines Helmes und meiner Unerkennbarkeit unter diesem Helm, doch dann fiel mir auf, dass mein Fahrrad in den hellsten Farben leuchtete, dass auf dem Rahmen Simonelli stand und dass der Schriftzug weithin sichtbar war. Man würde nur sagen müssen: Er fährt Simonelli. Da vorne fährt er.
    Hannah war fast nicht mehr zu sehen, nur noch als unmerklicher Punkt, weit über mir, und ich dachte daran, abzusteigen und sie allein weiterfahren zu lassen. Ihr zuliebe. Doch ich fuhr weiter, obgleich es besser gewesen wäre, das Fahrrad irgendwo abzustellen und zu verstecken. Wenigstens den Schriftzug notdürftig abzudecken. Wenigstens das.
    Sind Sie Herr Urspring? Von Helm zu Helm wurde das gefragt. Von Motorradhelm zu Fahrradhelm. Sind Sie Doktor Urspring? Ich fuhr weiter, so gut es ging. Ohne mich umzudrehen. Oder mir etwas anmerken zu lassen. Ich sei doch Doktor Urspring? Wenn ich nicht Doktor Urspring sei, dann könnte ich das ja offen sagen. Indem ich beispielsweise anhalte. Und mich zu erkennen gebe. Ein zweites Motorrad fuhr an mich heran. Es fuhr so dicht zu mir, als käme es mir zur Hilfe. Als wollte es das erste Motorrad verscheuchen. Auf diesem Motorrad saß ein Kameramann. Er filmte mich. Ohne den Namen Urspring zu sagen. Ohne irgendetwas zu sagen. Er filmte: von der Seite, von hinten, von vorne. Er filmte in jedem Fall, ob ich nun Urspring war oder nicht. Er filmte minutenlang. Als hätte er alle Zeit der Welt, und er hatte alle Zeit der Welt, denn die Passstraße, sie ging noch lang. Ich hätte anhalten und absteigen können, doch man hätte mich festgehalten und umlagert. Also fuhr ich weiter. Denn solange ich weiterfuhr, hatte ich noch ein Fahrrad, auf dem ich sitzen und fahren und schalten konnte …
    Und das erste Motorrad fuhr wieder an meine Seite: Herr Urspring. Es sei anmaßend zu leugnen, dass ich Urspring sei. Die Öffentlichkeit habe ein Recht. Ein Recht zu wissen, ein Recht zu erfahren, ein Recht zu hören, ein Recht zu sehen … Und ich erinnerte mich an eine Bemerkung von März, der einmal gesagt hatte: Niemals mit Journalisten zu reden, ohne eine Tür in der Nähe zu haben, durch die man gehen kann, ohne einen notdürftigen Raum zu wissen, in den man treten kann … Es gab weit und breit keine Tür. Es gab weit und breit kein Haus. Oder einen Raum. Nur Autos und Motorräder, die sich um mich scharten, mit Mikrophonen, Kameras und sich überschlagenden Fragen: Was mit mir sei? Wohin ich fahren würde? Was ich hier wolle? Doch diese Fragen, sie wirkten plötzlich kleinlaut und immer geduckter im Lärm eines Hubschraubers. Zunächst war er nur ein entferntes Brummen. Später ein helltöniges Umkreisen. Ein Einkreisen. Schließlich ein unablässiges Schweben. Direkt über uns. Ein nicht mehr Ablassen. Das ist er! Da fährt er! Seht nur! Wie er fährt! Sie erfahren das nun alles: live.
    Der Hubschrauber bewegte sich nur noch meterweise. So wie ich mich nur noch meterweise bewegte. Weil ich kaum mehr fuhr, sondern mich wand. Sehen Sie nur! Er fährt nicht, er windet sich nach oben. Man sieht es deutlich. Man sieht es im Lärm eines aufbrausenden Hubschraubers, der
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