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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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tatsächlich gehen könnte. Sie war zu einer Bushaltestelle gelaufen und hatte einen Bus genommen und dann den nächsten Bus und dann noch einen Bus, und so weiter – bis sie irgendwann gefunden und wieder zurückgebracht wurde. Man hatte sie sofort von der Schule verwiesen. Ohne sie überhaupt zu fragen: Warum sie davongelaufen war. Sie hätte das kaum beantworten können. Doch man hätte sie das wenigstens fragen können. Vielleicht wäre sie dann nie davongelaufen, wenn man sich dafür interessiert hätte, warum man aus dieser Schule möglicherweise davonlaufen könnte. Doch man fragte sie nicht. Auch keine Frage, wie es ihr unterwegs ergangen war. Man hatte ihr nur bedeutet: Dass das unverzeihlich sei, sich einfach aus dem Staub zu machen. Und man verwies sie noch am selben Tag der Schule.
    Ich kaufte ihr eine Fahrradbrille und einen Fahrradhelm, damit auch sie unerkannt bleibe. Sie lachte und küsste mich – von Helm zu Helm.
    Wenn die Wahl erst einmal gewonnen sei, sagte ich, wenn diese Wahl gewonnen sei, dann könnte ich ihr jede beliebige Stelle beschaffen. Ich könnte sie sogar zur Ministerin machen … Sie antwortete: Ich solle mir keine Illusionen machen. Wenn die Wahl vorbei sei, dann würde ich nicht mehr Ministerpräsident sein. Schon Stunden nach der Wahl. Man würde mich dann sofort gegen einen anderen austauschen. Mit größter Anteilnahme und Ehrerbietung. Gleich einem Staatsakt. Ob mir das nicht klar sei? Ich sei Ministerpräsident nur noch für diese eine Wahl.
    Sie schreckte auf, wenn ein Hubschrauber über uns kreiste. Der Hubschrauber, er gelte uns. Er suche niemand anderen als uns. Ich sagte ihr, dass das nur ein harmloser Hubschrauber sei. Und sie antwortete: Es gebe keine harmlosen Hubschrauber. Kein Hubschrauber fliege ohne Grund. Nicht einmal über dem Bodensee. Oder ein Polizeiauto, das auf einer Uferpromenade fuhr. Das beunruhigte sie. Warum jetzt plötzlich dieses Polizeiauto, das dort vorher nicht gewesen war. Jedes Polizeiauto, das in unsere Nähe kam, war, so Hannah, auf der Suche nach uns.
    Sie fühlte sich am sichersten, wenn wir fuhren und immer weiterfuhren, und als wir zu einem Schild kamen, das nach Bregenz zeigte, 34 Kilometer nach Bregenz, da wollte sie unbedingt nach Bregenz, weil Bregenz bereits in Österreich liegt und weil Österreich ihr sicherer erschien als Deutschland. Wir fuhren unscheinbar, vielleicht sogar unsichtbar – auf Radwegen und Nebenstraßen. Wir fuhren an letzten Wahlplakaten vorbei. Kurs halten mit Urspring , stand auf einem Plakat. Urspring blickte eindringlich über den Bodensee – Richtung Schweiz. Und Hannah lachte über dieses Bild.
    Wir fuhren an Zeitungsschlagzeilen vorüber. Für Momente glaubte ich, in diesen Zeilen Urspring zu sehen. Nicht einen Urspring, sondern viele Ursprings, in verschiedenen Größen. Urspring, Urspring und noch einmal Urspring … Auf Fotos und in großen Buchstaben. Der Kiosk war voll damit. Ich wollte anhalten und mir das anschauen, doch Hannah wollte weiter. Sie sagte: Das seien nur Bilder. Sie nannte es Sekundenbilder. Je schneller wir fuhren, desto belangloser schienen ihr diese Bilder.
    Lindau, wo ich mich mit dem bayrischen Ministerpräsidenten hätte treffen sollen. Kein Wort war in Lindau von diesem Treffen zu hören oder zu lesen. Wir fuhren an Lagerhallen vorbei, an einem Strandbad, durch einen Campingplatz hindurch, über eine unscheinbare Brücke hinüber – und waren in Österreich, was Hannah erleichterte, und auch mich erleichterte, da es Hannah erleichterte. Sie sagte, als wir auf einer Uferbank saßen und Schokoladeneis aßen, wir könnten ab jetzt immer weiterfahren, wohin wir wollten. Sie wollte zum Beispiel mit der Seilbahn auf einen Berg namens Pfänder, nur um zu sehen, wie es auf der anderen Seite des Berges weitergehe. Ob man von dort aus weiterfahren könnte, vielleicht nach Wien. Hannah wollte gerne nach Wien. Doch als wir auf dem Gipfel des Pfänder standen, sahen wir nichts als Berge. Bis zum Horizont. Wohin wir auch schauten. Nur Berge. Wie hätten wir angesichts all dieser Berge je nach Wien kommen sollen.
    Also nicht Wien, sondern weiterhin der Bodensee, an den wir uns gewöhnt hatten. Wir fuhren um das Ende des Sees herum und fuhren auf der gegenüberliegenden Uferseite weiter – Richtung Rhein. Sie würde gerne den Rhein sehen, sagte Hannah. Vielleicht im Rhein sogar schwimmen gehen.
    Selbst jetzt konnte man an den Zeitungskiosken noch Urspring sehen. Urspring in den verschiedensten
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