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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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hätten auch nach Polizeistationen fragen können oder nach Notrufsäulen, die es ebenfalls nirgendwo gab.
    Als es dunkel wurde, kletterten wir über einen Zaun in ein Schwimmbad, das Hannah im Vorbeifahren entdeckt hatte. Nur dort wollte sie übernachten, in diesem Schwimmbad, nirgendwo sonst. Bei den Umkleidekabinen entdeckte sie einen Wasserhahn, aus dem wir minutenlang tranken. Dann legten wir uns auf eine Wiese: auf unser Handtuch, das Hannah noch bei sich trug. Wir lagen ausgestreckt, so als wäre es noch hell am Tag, als wäre das Schwimmbad noch voll und unsere Anwesenheit hier ganz normal. Je kühler es wurde, desto mehr dachte ich daran: irgendwo hinzugehen, an ein Haus, in dem noch Licht brennt, und uns zu melden. Vielleicht sagte ich auch: um uns zu stellen. Dass man sich mit März in Verbindung setzen solle. Dass man ihm mitteilen solle, dass … Doch ich blieb sitzen. Und auch Hannah blieb sitzen. Sie sagte: Dass das alles ihre Schuld sei. Dass März wahrscheinlich außer sich vor Entsetzen sei. Sie werde nicht mehr zu ihm zurückkehren. Es werde eine furchtbare Rückkehr werden. Sie wolle sich eine solche Rückkehr ersparen. Doch sie wollte, dass wenigstens ich so schnell wie möglich zurückkehre. Schon morgen früh. Sie wollte ein Taxi für mich rufen … Und sie wollte schwimmen. Ich sagte ihr: Das ist doch viel zu kalt. Sie antwortete: Das sei ihr egal. Und sie breitete ihre Arme aus und rief: Dass eine Wahl verloren gehe! Dass eine Wahl verloren gehe, nur wegen ihr … Sie rief das laut durch das Schwimmbad. Dass sie eine Wahlverderberin sei. Eine Wahlvernichterin … Dass wegen ihr eine Wahl verloren gehe – in einem Land, in dem seit fünfzig Jahren (zumindest aus der Sicht von März) keine einzige Wahl verloren wurde, in einem Land, in dem eigentlich noch nie aus der Sicht von März irgendeine Wahl verloren wurde.
    Mitten in der Nacht sagte sie: Wir seien ohnehin den ganzen Tag in die falsche Richtung gefahren. Die Wahlkampftermine hätten ohnedies in einer völlig anderen Gegend stattgefunden. Weit entfernt von irgendeinem Mössingen. Woher sie das wisse? fragte ich sie. Sie habe das, so ihre Antwort, vorhin im Internet nachgeschaut. Sie hatte auch nachgeschaut, wo ich morgen überall auftreten würde, zum Beispiel in Lindau am Bodensee. Es sei dort ein Treffen mit dem bayrischen Ministerpräsidenten angekündigt. Das Treffen sei um 17 Uhr, sagte sie. Sie werde morgen ein Taxi rufen und mich dorthin bringen lassen. Wenigstens das.
    Sie fror nicht. Obwohl es längst Nacht war. Sie lag mit ausgestreckten Armen, als ob die Sonne noch scheinen würde. Als könnte ich ihr – vor lauter Sonne – noch den Rücken einreiben. Warum ich es nicht tue? fragte sie. Und sie machte ihren Rücken frei, und ich massierte ihn, ihren schmalen Rücken, ohne jede Sonnenmilch. Morgen wolle sie als Erstes schwimmen gehen, sagte sie. Dann schlief sie.
    Frühmorgens fuhren wir weiter. An einer Bushaltestelle entdeckte ich eine Landkarte. Ich wollte sehen, wo das genau liegt, Lindau, und ob wir vielleicht mit dem Fahrrad dorthin fahren könnten, nach Lindau, wo ich um 17 Uhr den bayrischen Ministerpräsidenten treffen sollte, dass eine Anreise mit dem Fahrrad unser Verschwinden möglicherweise zu aller Zufriedenheit erklären könnte, dass wir, so würde ich das März erklären, nur kurz hatten schwimmen gehen wollen und dann den Weg ins Hotel nicht zurückgefunden hatten und uns schließlich neu orientiert hatten und aus eigenem Antrieb den ganzen Weg mit dem Fahrrad nach Lindau gefahren seien … So könnte man März das erklären. Dass unsere Anfahrt mit dem Fahrrad den Wahlkampf womöglich gar beflügeln könnte, dass März uns für diesen Einfall am Ende sogar dankbar sein müsste … Sie stand neben mir. Vielleicht hörte sie gar nicht zu.
    Sie wollte sich in einem Brunnen waschen. Und danach einen Geldautomaten suchen, den wir irgendwann auch fanden, in einer kleinen Bank am Rande eines Dorfs. Immerhin gelangten wir mit der Scheckkarte in einen Vorraum. Das sei doch schon etwas, sagte ich. Wenigstens der Vorraum. Und Hannah betrachtete nun all die Zahlen und Nummern, die sie sich aufgeschrieben hatte, doch sie war sich nun sicher, dass diese Zahlen falsch und ungeeignet seien. Dass sie im Übrigen noch nie von einer PIN-Nummer irgendeines Menschen gehört habe, die man sich einfach hätte aussuchen können, die sich nach einem Geburtstag oder sonst einem bedeutsamen Tag in unserem Leben richten würde. Ich
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