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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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Haut fahren in Anbetracht der kontrollierten, verkehrsgerechten Fahrweise des Lenkers, auf die sich seine missmutige Raunzerei „Geht das nicht etwas schneller!“ nicht unbedingt beschleunigend auswirkt.
    Endlich angelangt, lässt sich der gehetzte Metzger nicht herausgeben, beschenkt somit den durchaus gehässigen Taxler unverdienterweise mit einer erheblichen Summe Trinkgeld, schlägt dafür so wuchtig die Beifahrertür zu, dass es den am Rückspiegel baumelnden Vanilleduftbaum entwurzelt und dieser in den offenen Aschenbecher stürzt, und stürmt einmal mehr sorgenvoll ins Spital.
    Vor der Zimmertür hält er keuchend an und klopft, so wie immer. Diesmal würde es jedoch keine Antwort geben, selbst wenn die Möglichkeit dazu bestünde.
    Vorsichtig öffnet Willibad Adrian Metzger die Tür.
    Das Bett ist frisch überzogen, faltenlos glatt gestrichen, ohne Namensschild, ohne Danjela.

54
    Eduard Pospischill steht einmal mehr vor einer scheinbar klaren Angelegenheit. Niemals wird er begreifen können, warum Menschen, denen noch der Großteil des Lebens bevorsteht, frühzeitig den Beschluss fassen, dieses durch die eigene Hand zu verkürzen. Selten noch hat er so eine schöne Tote gesehen, und obwohl der einsetzende Verfall bereits seine süßliche Duftmarke hinterlässt, ist das Innere des Wagens erfüllt von einem Aroma der Leidenschaft und Sinnlichkeit. Diese Frau hätte noch alles haben können, geht es dem Pospischill durch den Kopf.
    Durch den Kopf ist auch die Kugel der auf Boden liegenden schallgedämpften Pistole gegangen, vom Kinn aufwärts, durch das Autodach. Sie wollte scheinbar keinen Lärm machen.
    Obwohl, wie soll man im Nachhinein herausfinden, was im Kopf eines Selbstmörder vor sich geht?
    Bei Mord gelingt es eventuell aus dem Hirn eines dingfest gemachten Mörders zumindest ein Motiv herausbekommen, eine Absicht, eine Erklärung des Ablaufs, einen kleinen Einblick in die Welt des Geistes und der Psyche. Ein Selbstmörder, Täter und Opfer zugleich, hinterlässt nur Fragen und Schuldgefühle, so ausführlich kann der Abschiedsbrief, wenn vorhanden, gar nicht sein, hinterlässt, ohne es vielleicht zu beabsichtigen, den ewigen Vorwurf: Hättet ihr nur besser auf mich achtgegeben, hättet ihr euch nur ein wenig mehr um mich gekümmert, euch mehr für mich interessiert. Ein unerträgliches Erbe.
    In diesem Fall ist aber kein Abschiedbrief zu finden. Sie hat nichts hinterlegt außer sich selbst.
    Keine letzten Worte, kein Ausweis, keine Geldbörse, kein persönlicher Gegenstand – Hosentaschen, Jackentaschen alle leer. Nichts hat sie mitgenommen zu ihrer letzen Ausfahrt, als wenn es ihr beim Sterben nur um sich selbst gegangen wäre. Kein Freitod also im Sinne von: Jetzt schaut einmal wie ihr damit leben könnt, ihr Schweine. Nichts.
    Für so viel Zurückgezogenheit erscheint dem Pospischill der gewählte Ort zwar eher ungewöhnlich, nur, was ist schon gewöhnlich, wenn es um Selbstmord geht und, wie gesagt, wie soll man im Nachhinein herausfinden, was im Kopf eines Selbstmörders vorgegangen ist?
    Ganz abgesehen davon, wie viele Morde perfekt getarnt als Selbstmorde in die Geschichte eingegangen sind, das will er gar nicht wissen, der Pospischill. Er will momentan im Grunde nur noch seine Ruhe.

    Sollen ihm die Menschen doch alle gestohlen bleiben mit ihren ständigen Kleinkriegen untereinander und mit sich selbst. Mitleid hat er keines, der Kommissar, wer das mit dem Sterben gar nicht erwarten kann, soll sich ruhig selbst zur Hölle schicken, bevor er den anderen das Leben zur Hölle macht.
    Besser ein freiwilliger Toter als ein unfreiwillig Lebender, die sind überhaupt die Schlimmsten, die ewigen Miesmacher, Nörgler und Schattenmacher. Das Erschütternde ist: Diese unfreiwillig Lebenden gibt es vermehrt dort, wo sich die Mehrzahl der Menschen dieses Planeten hinwünscht. Je größer der Wohlstand, desto größer die Überheblichkeit gegenüber dem eigenen Dasein. Kein Bewohner der ärmsten Regionen dieser Welt jammert auf dem kilometerlangen Weg zur nächsten Wasserstelle so unaufhörlich wie der Wohlstandsverwahrloste im Stau auf dem Weg in den Urlaub, beim Anstellen an der Kasse während des Sommerschlussverkaufs, in der endlosen Reihe des Büffets der Firmenweihnachtsfeier.
    Wer das Leben nicht schätzt, soll sich vertschüssen, und wie dann endlich die beiden Streifenwagen eingetroffen sind, macht das auch der Pospischill und geht nachhause mit dem festen Vorsatz, sich heute Abend seine Trixi
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